Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
an. Sie begegneten keinem einzigen Militärfahrzeug und keiner einzigen Straßensperre. Bond bemerkte: »Kaum zu glauben, dass in diesem Land seit zwei Jahren Bürgerkrieg herrscht und ein paar Hundert Meilen weiter südlich eine halbe Million Menschen hungern.«
Blessing zuckte mit den Achseln. »Das ist Afrika.« Sie zeigte auf das Dorf, das sie gerade passierten. »Diese Leute besitzen vielleicht ein Radio oder ein Fahrrad, aber ihr Leben hat sich in den letzten tausend Jahren nicht wesentlich verändert. Wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, dass ihre Hauptstadt Sinsikrou heißt.«
Bond scherte auf den Seitenstreifen aus, um einem knapp zwei Meter breiten Schlagloch auszuweichen. Vor ihm erstreckte sich die Straße als endlose Gerade und die Landschaft war dabei so eintönig, dass er sich fragte, ob er wohl Gefahr liefe einzuschlafen. Wieder fuhr er rechts ran und erklärte, er müsse sich erleichtern. Kaum hatte er ein paar vorsichtige Schritte in den Wald gemacht, geriet das Auto aus seinem Blickfeld. Die Luft war von Geräuschen erfüllt – Frösche, Vögel, Insekten – , und er fühlte sich plötzlich ungeheuer einsam, obwohl es um ihn herum vor Leben nur so wimmelte: Ameisenkolonnen zu seinen Füßen, ein Trio magentaroter Schmetterlinge, die einen Sonnenstrahl erkundeten, ein paar kreischende Vögel auf einem hohen Ast, eine Eidechse, die auf einem Stein Liegestütze machte. Und er als einziger Vertreter der Gattung Homo sapiens, der gerade seine Blase entleerte, war bloß einer von vielen Organismen in diesem wuselnden Urwald. Er war froh, als er zur Straße und zum Auto – diesen schwachen Symbolen der vermeintlichen Vorherrschaft des Menschen – zurückkehrte und eine von Blessings kräftigen Tuskers rauchte. Sie bot ihm an, den letzten Teil ihrer Tagesstrecke zu fahren, zum Good-Companion-Rasthaus am Rand einer Kleinstadt namens Kolo-Ade.
Diese Rasthäuser waren ebenfalls ein vom Aussterben bedrohtes Relikt der kolonialen Vergangenheit. Das Good Companion war in den 1930er Jahren erbaut worden – ein stattliches, luftiges Ziegelhaus mit großer Veranda, Salon, Speisesaal und Küche im Erdgeschoss und acht Schlafzimmern im Obergeschoss – , für die reisenden Beamten, die einstmals die Kolonie verwalteten. Doch obwohl die Spuren altersbedingten Verfalls nicht zu übersehen waren – die Farbe blätterte ab und der Estrich hätte eine frische Wachsschicht vertragen – , war alles sauber und zweckdienlich. In Bonds Zimmer stand ein Bett mit aufgespanntem Moskitonetz und ein hölzerner Waschtisch mit Kanne und Schüssel aus Emaille. Das WC befand sich am Ende des Flurs.
Bond und Blessing saßen auf der Veranda – sie waren die einzigen Gäste – und beobachteten, wie die Fledermäuse in der nur kurz währenden afrikanischen Dämmerung hin und her schossen, während der Sonnenball sich jäh blutrot färbte und unterging. Sie tranken Whisky und Wasser und rauchten unablässig, um die Moskitos zu vertreiben. Blessing zeigte ihm auf der Karte, wie weit sie gekommen waren – ihrer Schätzung nach hatten sie auf diesen Nebenstraßen etwa zweihundert Meilen zurückgelegt. Am Folgetag würden sie das Randgebiet des Zanza-Deltas erreichen, wo sie mit Straßensperren und unausweichlichen Verzögerungen rechnen mussten. Die Soldaten ließen die Autofahrer gern stundenlang warten, um das Wegegeld in die Höhe zu treiben.
Bond genoss diesen Augenblick auf der Veranda. Eine entspannte Unterhaltung, dazu ein starker Dämmertrunk, und die Hitze wich allmählich nächtlicher Kühle. Er fühlte sich wohl, nicht zuletzt, weil eine attraktive junge Frau ihm Gesellschaft leistete. Blessing trug nun ein besticktes Batikkleid in vielerlei leuchtenden Rot- und Rosatönen, das sie exotischer und afrikanischer wirken ließ – oder lag es bloß daran, dass sie in das Landesinnere von Zanzarim gelangt waren, überlegte Bond, während er sich ihre kalte Science-Fiction-Schönheit vom Vorabend in Erinnerung rief. Ihm war auch nicht entgangen, dass sie unter dem Kleid keinen BH trug – er sah ihre kleinen Brüste beben, als sie einen aufdringlichen Nachtfalter verscheuchte. Unwillkürlich stellte er sie sich nackt vor, wie mochte ihr jugendlich straffer Körper aussehen unter – bloß nicht! Bond gebot seinen ganz und gar unprofessionellen Gedanken Einhalt.
Der Geschäftsführer des Good Companion, ein weißhaariger, zahnloser Greis, bat sie zum Abendessen herein: Fruchtsalat und als Hauptgang ein zähes Steak mit
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