Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
einem Laut entzwei, als risse ein Leinenlaken. Lauter Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Großoffensive, als bereitete die Armee den endgültigen Vorstoß ins Kernland der Rebellen vor. Blessing reagierte skeptisch auf seine Überlegungen.
»Natürlich verfügen sie über viele Waffen und Männer«, sagte sie. »Aber das hier sind alles Rekruten – schlecht ausgebildet und unerfahren. Sie marschieren nur, wenn man sie mit Freibier und Zigaretten füttert. Und die Panzer sind im Delta nicht zu gebrauchen. Dieses Gelände bekommt ihnen nicht und die wichtigsten Brücken sind schon alle gesprengt.«
Als hätte man Blessing belauscht, fuhren sie im selben Augenblick an einer Reihe von geparkten Pritschenwagen voller Bailey-Brückensegmente vorbei. Dabei erblickte Bond weiße Soldaten, die offenbar englische Uniformen trugen.
»Langsamer bitte«, sagte Bond und drehte sich um. »Sind das vielleicht Briten? Von den Royal Engineers?«
»Ach, hier gibt es durchaus den einen oder anderen ›Militärberater‹«, sagte Blessing. »Letzte Woche sind mir drei am Flughafen begegnet.«
Bond lehnte sich nachdenklich zurück. Falls er mit seiner Vermutung recht hatte, hing diese eilends umgesetzte praktische Unterstützung durch das britische Militär in gewisser Hinsicht mit seiner Mission zusammen. Seine Regierung wollte diesen Krieg tatsächlich so bald wie möglich beendet sehen. Warum? Es war nicht auszuschließen, dass diese Panzer mit britischen »Militärberatern« bemannt sein würden …
Nach einem schnellen Zwischenstopp bei einem Straßenimbiss – wieder Bier und dago-dago – übernahm Bond das Steuer. Ihm fiel auf, dass die Landschaft sich veränderte, als sie sich dem Delta im Süden näherten – allmählich tauchten an beiden Seiten kleine Seen und Tümpel auf, ausgedehnte Schilfflächen sowie mehr Palmen und Mangroven.
Blessing wies ihn an, die Hauptstraße zu verlassen und den Schildern nach Lokomeji zu folgen. Im Außenbezirk dieser Kleinstadt befand sich ihr nächstes Rasthaus, die Cinnamon Lodge, die sie am späten Nachmittag erreichten. Nachdem Bond am Eingangsportal ausgestiegen war, fuhr Blessing in die Stadt. Dort wollte sie den einheimischen Fischer treffen, der Bond nach Dahum führen würde.
Die Cinnamon Lodge war vom Grundriss und Aufbau her identisch mit dem Good Companion und stammte aus der gleichen Kolonialepoche. Vom Balkon seines Schlafzimmers aus konnte Bond die dicht bewachsene Waldniederung des Zanza-Deltas überblicken. Die Spätnachmittagssonne funkelte silbrig auf den Bächen und Kanälen, die sich durch die Pflanzendecke schlängelten. Der Karte nach befanden sie sich direkt am Rand des riesigen Deltas. Port Dunbar war zwar nur vierzig Meilen Luftlinie entfernt, aber es hätten genauso gut vierhundert Meilen sein können, so undurchdringlich schien dieser sumpfige Wald, der von einem Gewirr von Wasserläufen durchzogen war. Es war schwül, und Bond sah in der Ferne eine dünne Rauchsäule aufsteigen; anstatt sich aufzulösen, blieb sie in der Luft hängen wie ein Lappen. Wieder knatterte ein MiG -Geschwader vorbei, diesmal in Richtung Norden, mit leeren Tragflächenhalterungen. Mission beendet, und die Piloten freuten sich bestimmt schon auf einen weiteren Abend in der Bar des Excelsior Gateway, die Bond inzwischen vorkam wie eine andere Welt.
Er saß auf einem Rohrstuhl auf der Veranda und trank gerade seinen zweiten Whisky, als er die Scheinwerfer des Austin 1100 nahen sah. Blessing wirkte zufrieden. Kojo – der Fischer – würde am nächsten Abend um sechs an den Anlegeplätzen von Lokomeji auf Bond warten und mit ihm hinausfahren – es würde aussehen wie eine Nachtangeltour, als hielten sie Ausschau nach Zanza-Karpfen. Das Städtchen lag an einer kleinen Lagune, die in die vielfach verzweigten Bäche und Flussarme, die sich durch den Wald wanden, mündete. Blessing zufolge kannte Kojo jede einzelne Flussbiegung, von Kindesbeinen an hatte er im Gebiet um Lokomeji gefischt und wusste genau, wo er Bond in Dahum sicher an Land bringen konnte.
»Gut«, sagte Bond. »Und was machen wir morgen tagsüber? Vielleicht könnten wir zur Hauptstraße zurückfahren – ich würde diesen britischen Soldaten gern auf den Zahn fühlen.« Er lächelte. »Schließlich bin ich Journalist – könnte doch eine gute Story werden.«
Blessing riet ihm zur Vorsicht. »Wir sollten uns bedeckt halten. Ganz Lokomeji weiß von dem Engländer in der Cinnamon Lodge. Hier gelten Sie als
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