Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
sobald er sie aufstöberte, kam er allmählich zur Ruhe. Dennoch war ihm bewusst, dass diese Leute, sollten sie noch am Leben sein, ähnliche Rachepläne gegen James Bond schmieden dürften, den Mann, der ihnen ihren kleinen afrikanischen Krieg vermasselt hatte. Sicher wussten sie, dass er nicht in der Betonzelle unter dem Kontrollturm von Janjaville verreckt war. Hätte man nach dem Zusammenbruch von Dahum einen toten Briten gefunden, wäre das eine Schlagzeile oder zumindest eine Zeitungsmeldung wert gewesen. Und so mussten sie zwangsläufig schlussfolgern, dass er gegen jede Wahrscheinlichkeit überlebt hatte.
Dessen ungeachtet nahm sein Plan langsam Gestalt an – ein Plan, den nur er allein ausführen konnte, und zwar nicht in seiner Eigenschaft als Doppel-Null-Agent. Diese Operation musste unabhängig von M oder dem Secret Service erfolgen. Eine wilde Vorgehensweise ohne jede Autorisation. Bond musste unwillkürlich lächeln. Vielleicht würde die Rache auf diese Weise umso süßer ausfallen. Er wollte auf eigene Faust handeln, »solo«, wie er das bei sich nannte. Im ungeschriebenen Gesetz des Secret Service waren solche Alleingänge strengstens verboten. Sie wurden mit drakonischen Strafen geahndet. Wieder lächelte Bond – er scherte sich nicht darum. Er wusste ganz genau, was er tun wollte.
Am nächsten Tag entschied er sich für einen dunkelblauen Flanellanzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte (Donalda hatte ihm Kleidung geschickt), suchte die Verwaltung auf und eröffnete dem diensthabenden Offizier, er entlasse sich selbst. Ein Arzt wurde herbeigerufen, der Bond unter keinen Umständen gehen lassen wollte – er benötige mindestens noch ein bis zwei Wochen bis zur vollständigen Genesung. Bond erklärte, er werde sich auf dem Gutshof eines Cousins in South Uist auf den Hebriden aufhalten, und hinterließ dessen Namen und Adresse. Zwar gebe es dort kein Telefon, aber man könne ihm jederzeit ein Telegramm schicken – und er übernehme die volle Verantwortung für seine Selbstentlassung.
Zum Abschied bedankte er sich herzlich bei Sheila und küsste sie auf die Wange, anschließend wurde ein Taxi gerufen, das ihn nach Edinburgh fuhr. In der George Street hob er bei einer Bank eintausend Pfund in bar ab (den Betrag, den er am Vortag hatte überweisen lassen). Danach ging er in eine Austernbar an der Princes Street, wo er eine Flasche Champagner bestellte, ein Dutzend Austern und Rührei mit Räucherlachs. An der Waverley Station kaufte er eine Schlafwagenkarte erster Klasse nach London und stieg in den Zug. Am liebsten wäre er in den Speisewagen gegangen, aber die Vernunft hielt ihn davon ab. Er nahm eine Schlaftablette ein und schlief die Nacht durch, während der Zug südwärts ratterte. Um sechs Uhr morgens weckte ihn ein Steward mit einer Tasse starken britischen Eisenbahntee und zwei Roggenkeksen. Bond ließ den Tee wie gewohnt links liegen, aber die Kekse aß er gern.
Unter dem Namen Jakobus Breed nahm er sich ein Zimmer in einem sauberen, wenn auch leicht heruntergekommenen Bed-and-Breakfast in der Nähe von King’s Cross und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. In seinem Umfeld würden nun alle glauben, er erhole sich einen Monat lang auf den Hebriden. Die Adresse, die er im Krankenhaus und bei Minty hinterlegt hatte, war die von Donaldas Onkel. Niemand ahnte, dass Bond sich in London aufhielt, und das war das Entscheidende. Er hatte jede Menge Bargeld und jede Menge Zeit – irgendwo würde er den Schatten einer Spur aufspüren, die ihn seinem Ziel näher brächte, und er wusste bereits, wo seine Suche beginnen sollte. Zuvor musste er sich allerdings Rüstzeug sowie ein paar wesentliche Informationen beschaffen, die in seiner Wohnung in Chelsea versteckt waren.
Bond saß in einer Nische im hinteren Teil des Café Picasso, vor sich eine Karaffe Barolo und einen Teller Spaghetti Matriciana, und behielt die Tür im Auge. Donalda trat ein, als er gerade aufgegessen hatte. Er winkte sie herbei. Sie setzte sich zu ihm und konnte bei der Begrüßung ihre Wiedersehensfreude nicht verhehlen.
»Die Wohnung ist jetzt rundum fertig, Sir«, sagte Donalda. »Und sie ist toll geworden. Schade, dass Sie noch nichts davon hatten.«
»Ich war im Ausland«, sagte Bond.
»Waren Sie krank? Sie sehen ein bisschen blass aus, Sir.«
»Ich habe mir eine Art Virus eingefangen.«
Bond ging davon aus, dass May ihr nur das Allernötigste über den ungewöhnlichen Beruf ihres Dienstherrn verraten
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