Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
Vom Netzwerk:
und hatten allem Anschein nach noch keine Kinder. Zumindest waren sie ohne Kinder unterwegs. Vielleicht hatte der Reiz der Natur den guten alten Elliott übermannt und er hatte seine Frau ins Gebüsch gelockt, um mit ihr dem ältesten und erholsamsten Sport dieser Welt nachzugehen. Vielleicht war ja auch die dürre Blonde plötzlich von wilder Leidenschaft überfallen worden. So oder so, man konnte es ihnen nicht verübeln. Manche der Einheimischen erzählten hinter vorgehaltener Hand, dass Sue lesbisch sei. Klar hatte sie am College, wie viele andere Mädchen auch, diese spezielle Spielart der Liebe mal ausprobiert. Doch eigentlich war sie mehr oder weniger mit ihrem Geschäft verheiratet.
    Sofern Sue es einschätzen konnte, gab es noch keinen Grund, die Bergrettung zu alarmieren. Außerdem verdiente sie dreißig Dollar extra, wenn die Everharts ihre Räder später zurückbrachten. Und sie hatten fünfhundert Dollar Kaution auf ihren Kreditkarten hinterlegt, damit war der Wert der Räder so gut wie gedeckt. Dazu kamen noch Abschreibung, Steuern und das Trinkgeld, das sie wahrscheinlich locker machen würden, wenn sie mit hochroten Köpfen morgen früh bei ihr einrollten. Und so setzte Sue wieder einmal auf das alte Sprichwort »Lieber spät als nie«.
    Sie ließ eine kleine Lampe über dem Schreibtisch brennen und ging nach oben. Ihr Abendessen bestand aus Lachs aus der Konservendose, Reis und frischem Blattkohl. Warm gemacht wurde es auf einem Coleman Gaskocher. Der Kocher ging ganz offiziell als Geschäftsausgabe durch. Das hatte sie mit ihrem Freund, einem Buchhalter, abgeklärt. Walter hatte sie bei einer Wildwasser-Raftingtour kennengelernt.
    Am Anfang hatte ihre Beziehung sie in kräftigen Stromschnellen ordentlich durcheinandergewirbelt. Gegen Ende des Sommers waren die Wirbel nicht mehr ganz so wild, aber das war okay. Das Geld, das sie für Kondome und Sekt ausgegeben hatte, konnte sie steuerlich abschreiben. Jetzt freute sie sich auf ein warmes Essen und den Vibrator, der unter dem Kopfkissen auf sie wartete. Der gute alte »Wascally Wabbit«. Er log nicht, betrog sie nicht und kam niemals zu früh. Und wenn die Everharts mitten in der Nacht vor der Tür stehen sollten, dann würde sie es einfach ignorieren.

 
     
     
    22. KAPITEL
     
    Mit acht hatte Odus zum ersten Mal die Geschichte vom Wanderprediger gehört. Seine Großmutter, eine dicke Frau mit teigigem Gesicht, die die Weltwirtschaftskrise überlebt hatte und deshalb noch immer Konserven in Größenordnungen hortete, scharte samstagabends oft ihre Enkel auf der Veranda um sich. Die älteren Kinder maulten, weil sie lieber Fernsehen gucken wollten, aber für Odus war das eine tolle Möglichkeit, noch ein bisschen länger aufzubleiben, ohne Ärger zu bekommen. Ihm war damals schon klar, dass solche Geschichten immer auch ein Körnchen Wahrheit enthielten, auch wenn sie schier unglaublich schienen.
    Großmutter Hampton hatte sechs Kinder, und drei von ihnen hatten ihr Enkel geschenkt. Odus war ein Einzelkind, aber er hatte fünf Cousins und Cousinen. Zu der Zeit lebten sie alle noch in Solom. So war in den Sommermonaten auf Großmutters Veranda immer etwas los. Sie setzte sich in ihren Schaukelstuhl, die Kleineren hockten sich auf die kühlen Bodenbretter, die Älteren lehnten am Geländer. Bei ihren Füßen stand ein Einweckglas, das ihr als Spucknapf diente, und sie fing erst an zu erzählen, nachdem sie sich eine große Portion whiskeyfarbenen Schnupftabak hinter die Unterlippe geklemmt hatte.
    Wie auf Kommando wurde der Himmel noch ein Quäntchen dunkler, die Grillen fingen an zu zirpen, und Glühwürmchen schwirrten um die schwarzen Schatten der Bäume. Die Sterne funkelten über dem Talkessel, und selbst wenn der Rest der Welt plötzlich abgebrochen und hinter den Mond gesegelt wäre, hätte es diese Idylle nicht stören können. Fast schien es, als hätte Großmutter magische Kräfte, mit denen sie eine Bühne für ihre Geschichten herbeizauberte. Solom schien der einzig wahre Ort auf der ganzen Welt zu sein.
    »Der Wanderprediger war einer der ersten Prediger, die mit dem Pferd durch diesen Landstrich ritten«, erzählte Großmutter in jener Julinacht 1966. »Es gab zwar schon ein paar Methodistenpriester und einen Episkopalenpfarrer, aber Harmon Smith war ein konvertierter Primitiver Baptist. Damals waren die Baptisten noch nicht so verbreitet wie heute. Für die meisten weißen Siedler war Religion Privatsache. Ihr müsst wissen, dass die

Weitere Kostenlose Bücher