Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
Boden, spielte Stille Post oder »Ich seh etwas, was du nicht siehst«. Zeke hatte angefangen zu rauchen, was übrigens auch ein beliebter Zeitvertreib an der Bushaltestelle war. Allerdings trauten sich das die anderen Kinder nicht, weshalb Zeke zum Helden der Nachbarsjungen aufgestiegen war. Aber er wusste auch, dass er seinen Allerwertesten tagelang nicht zum Sitzen gebrauchen könnte, wenn ihn die Alten erwischten. Die Kinder erzählten später, dass er ihnen an diesem Morgen ganz stolz eine Schachtel Zigaretten gezeigt hatte, Viceroys ohne Filter. Die glänzende Schachtel hatte er wahrscheinlich aus dem Gemischtwarenladen mitgehen lassen.
Zeke war zwar ein Angeber, aber seine ersten Rauchversuche wollte er dann doch lieber heimlich im Wald machen. Wahrscheinlich hatte er genauso viel Angst davor, vor den anderen zu husten, wie er fürchtete, von den Erwachsenen erwischt zu werden. Auf jeden Fall verschlug sich Zeke in einen Lorbeerbusch und zündete sich eine an. Die Jungs versicherten sich, dass auch Rauch aufstieg, damit Zeke sie nicht hinters Licht führte. Dann wandten sie sich wieder ihren Spielchen zu. Erst als der Bus kam und einer der Jungs Zekes Namen rief, fiel ihnen auf, dass er für eine Zigarette viel zu lange weggewesen war.
Arvels bester Freund, J.C. Littlejohn, war zu dem Busch gegangen, um Zeke zu suchen. Der Busfahrer hupte und die anderen Kinder riefen dummes Zeug, so wie J.C. es erzählte, doch Zeke kam nicht aus seinem Versteck. J.C. fand ihn bäuchlings auf dem Boden liegen. Die angesabberte Kippe lag ein ganzes Stück von seinen Lippen entfernt, die glühende Spitze hatte ein Loch in ein Blatt gebrannt. Zekes Turnschuh hatte sich in einer hervorstehenden Wurzel verfangen, so dass er gestolpert war. Ein schrecklicher Unfall, hatte der Rechtsmediziner gesagt. Zeke war mit der Stirn gegen einen Baum geprallt, so dass sein Kopf schlagartig in den Nacken geworfen wurde. Er war sofort tot.
Und Arvels erster Gedanke war: Zum Glück hat der Wanderprediger ihn geholt und nicht mich!
Jetzt hatte er wieder ähnliche Gedanken. Betsy war aus dem Krankenhaus entlassen worden. Alles würde wieder gut werden. Und genau das war das Problem. Denn Arvel hatte gehofft, dass der Wanderprediger diesmal Betsy holen würde. Nicht dass er Betsy irgendetwas Böses wollte, aber nach all den Jahren hatte er immer noch so eine Scheißangst vor dem Wanderprediger, dass er lieber tausend Tode sterben würde, als von diesem Geist kaltgemacht zu werden. Denn wer vom Wanderprediger geholt wurde, musste immer wiederkehren.
Zehn Jahre nach seinem Tod hatte Arvel seinen Bruder wiedergesehen. Arvel war frisch verheiratet und hatte nach dem letzten Schlaganfall ihres Vaters den Hof übernommen. Arvel hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, immer ein Auge auf den Hof der Smiths zu haben. Seine gesamte Jugend war von Angst überschattet gewesen – aber nicht etwa durch den unglücklichen Tod seines Bruders, sondern aufgrund der dunklen Schatten, die hinter den sonnenhellen Fenstern der Smith’schen Scheune herumzuwabern schienen. Eines kalten Morgens im März, Arvel wollte gerade seine beiden Schweine füttern, stand Zeke neben dem Kohlfeld. Er war kaum sichtbar, umgeben von einem feinen Nebel, als wäre er mit ihm verwoben. Sein Kopf hing schlapp nach einer Seite, wie eine Zwiebel an einem dünnen Faden.
»Sobald er sein Pferd gefunden hat, kannst du zu mir kommen«, sagte Zeke. Seine Worte strömten aus dem Nebel, als ob sie aus der Erde wüchsen. »Ist ziemlich einsam hier, wenn man immer nur wartet.«
Arvel ließ den Eimer mit dem Schweinefutter fallen. Saure Milch, Tischabfälle, Eierschalen und Apfelschäler spritzten auf seine Hose. Er rannte zurück ins Haus. Vater sah seine stinkenden Sachen und verprügelte ihn, weil er das Schweinefutter verschüttet hatte. Dann schickte er ihn wieder hinaus, um den Eimer zu holen. Arvel hatte keine andere Wahl. Mit Vater legte man sich besser nicht an. Als er wieder am Kohlfeld ankam, war Zeke verschwunden. Arvel gab sich auch nicht besonders viel Mühe, seinen toten Bruder ausfindig zu machen. Stattdessen erfand er immer neue Ausreden, warum er in den nächsten Tagen fast ausschließlich im Haus oder in der Scheune zu tun hatte. In den Garten ging er nur noch bei hellem Tageslicht.
Und trotz der Angst, die er bei dieser Begegnung empfunden hatte, stach ein anderer Gedanke wie ein Messer in sein Herz: Ich bin so froh, dass er ihn geholt hat und nicht mich.
Und genauso hatte er
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