Some like it heiß
Geschwistern zu tun. Oder mit der Familienidylle der Lindenstraße. Aber es überkommt mich unerwartet – immer wieder – ein heftiger Orkan in der Dämmerung des Wochenendes. Ich fühle mich einsam und vergessen –wie ein verlorenes Kind bei IKEA, ertrunken in bunten Bällen, who wants to be abgeholt von the Kinderparadies – sofort.
Irgendein Alltagsdrama war der Anlass für meinen Anruf – ein Computerabsturz oder ein Ehestreit –, und ich brauchte dringend schwesterliche Unterstützung, Perspektive und Rat. Nicht nur das Heimweh hatte mich im Griff, ich machte mir Sorgen um meine Mutter, hatte Lampenfieber vor meiner Show, und dank meines wild auf und ab schwingenden Hormonspiegels war ich fertig mit den Nerven, heulend und trostlos. I slid down the slippery slope of Verzweiflung: Mein Computer funktioniert nicht, und ich bin total unfähig, I can’t even use a fucking Apple, ich verstehe sowieso nichts, I can’t speak this fucking Sprache, niemand versteht mich, ich gehöre nicht hierher, I’m going back to Massachusetts und werde Kindergärtnerin! Nach ein paar Gläschen Wein wurde es nur noch schlimmer, und ich griff zum Telefon.
»Ich kann nicht mehr!«, sagte ich.
»Speak English«, sagte meine Schwester.
»I can’t do this anymore!«
»This what?«
»This
everything
!«
»Are you
still
not on anti-depressants?«
Diese Frage ist mittlerweile die Antwort meiner Schwester auf alles. Wir Amerikaner sind ein konsumierendes Volk. Wenn wir uns in körperlicher oder seelischer Not befinden, nehmen wir erst mal eine Tablette: Aspirin, Ibuprofen, Valium, Prozac. Das hat unter anderem damit zu tun, dass eine Tablette billiger ist als fast alle anderen Therapieformen. Weniger Menschen sind involviert, weniger Lohn muss bezahlt werden. Das spart Zeit – und Geld.
Die Krankenversicherung – wenn überhaupt vorhanden, was in den USA immer noch nicht selbstverständlich ist – deckt fast keine Physio- oder Gesprächstherapiekosten. Der schnelle und oftmals einzige Ausweg sind die Pillen, die als Turbo-Allzweckmittel beworben und wie M & M’s gegessen werden. Mary Ann hat eine lazy Susan in ihrer Küche – eine flache Drehscheibe mit einer überbordenden Auswahl aller rezeptpflichtigen Medikamente der ganzen Familie. Ein wahrhaftig amerikanisches Glücksspiel, der neue Gameshow-Hit: Rauschrad!
Diese Show feierte ihre Premiere in den Swinging Sixties, mit dem Debüt des Wundermittels Diazepam, besser bekannt unter seinem KünstlernamenValium. Ein Arzneimittel, das angstlösend ist, antiepileptisch, muskelentspannend und beruhigend. Es war schnell in Hollywood zu Hause, stets ein offener und ausschweifender Ort, der sich in den Sechzigern zu einem Drogenlabor entwickelte. Es fing an mit Judy Garland, Liz Taylor und Marilyn und endete mit Peter Fonda, Dennis Hopper und Elvis. The Hollywood-Studios haben schon in den Vierzigern Kinderstars wie Judy oder Liz mit Pillen vollgestopft, um die anstrengenden Arbeitstage zu verlängern und in der Hoffnung, die einsetzende Pubertät aufzuhalten. Amphetamine tagsüber – ursprünglich entwickelt als Wachhalter für G. I. s im Zweiten Weltkrieg –, hammerharte Barbiturate am Abend, um schlafen zu können. The show must go on. Eine perfekt getimte chemische Rundumbetreuung, die geradewegs in die Abhängigkeit führte.
Als Valium seinen ersten Auftritt hatte, wurde es gefeiert als die leichtere Variante eines Barbiturates, eine Art Cola-Light der Beruhigungsmittel. Die Erfolgswelle rollte schnell, ganz Amerika war entzückt. Heute wird Valium nur noch in akuten Notfällen verschrieben, weil die Gefahr, abhängig zu werden, viel zu groß ist, aber von1969 bis 1982 war es der Nummer-eins-Topseller der verschreibungspflichtigen Medikamente in den USA – besonders beliebt bei Frauen. Valium über alles und gegen alles! Gegen Regelbeschwerden oder Schlafstörungen, Migräne oder Hitzewallungen: Es war mother’s little helper, wie die Rolling Stones schon 1966 so schön gesungen haben.
Nach meiner Geburt 1960 bekam auch meine Mutter ein bisschen Hilfe von ihrem Frauenarzt – Amphetamine, um ihre Babypfunde zu verlieren. Weil diese »diet pills« sie nervös machten »anda little jumpy«, bekam sie zusätzlich Valium. Sie war sofort ein Fan! Als Mary Ann und ich nach Mas Umzug in das Cape Cod Senior Center ihre Wohnung ausräumten, entdeckten wir im Nachtschrank insgesamt zwölf verschiedene Medikamente, die sie anscheinend seit Jahrzehnten genommen hatte. Als der
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