Some like it heiß
selbständig und frei! Ich rufe an und höre die beruhigenden Stimmen meiner deutschen Freunde, jedes Wort, jeder Umlaut, jedes »Ach du Scheiße!« ist ein Geschenk.
Wenn ich mit meinem Mann meine Familie besuche, ist die deutsche Sprache unser Rettungsring. Wenn ich wirklich keinen Bock mehr habe, sage ich einfach auf Deutsch zu ihm: »Sag, dass du Magenprobleme hast, dann gehen wir.« Er blickt zum Thunfischauflauf und sagt mit einem freundlichen Lächeln: »Das mache ich gerne, und es ist nicht einmal eine Lüge, dieses Essen war schrecklich.« Er legt seine Hand fürsorglich auf meinen Rücken. »Im Ernst, es war grauenvoll, können wir jetzt bitte gehen, ich brauche dringend eine Apotheke.«
Es ist unser Da Vinci Code, unser Geheimnis. Als wir das erste Mal zusammen angereist sind, war es eine Offenbarung für mich – warum habe ich Deutsch nicht schon vor Jahren gelernt? Als Kleinkind! »Und wenn Sie denken, dass ich jetzt meine Windeln gewechselt haben will, haben Sie sich gewaltig geirrt, Sportsfreund!«
Christoph Waltz schreit im Fernsehen, die Vokabeln lösen sich auf wie Schneeflocken im Sturm und schweben durch mein Hotelzimmer. Ein eisiger Wind bläst durch die Fenster, fegt mich vom Bett und schmeißt mich auf den Boden. Doch der ist plötzlich ganz weit weg, ich kann ihn nicht erreichen. Ich fliege über eine Hügellandschaftvoller Popcorn und Mini-Marshmallows. Ich falle und möchte »Hilfe!« schreien, aber das Wort fällt mir nicht mehr ein – in keiner Sprache. Es schneit und schneit, und alles ist ruhig, und meine Mutter nimmt meine Hand, und das Telefon klingelt.
Wo bin ich?
12. HOT STUFF
»Ralph, Scuff, um, äh …
Schatz
!«
Ich konnte es nicht glauben. Jetzt war es auch mit mir so weit. Ich hatte gerade nach meinem Mann gerufen, aber mit dem Namen meines Bruders. Okay, ich war gejetlagged und etwas durcheinander nach meinem Massachusetts-Schneeinferno, aber jetzt war ich wieder zu Hause in Berlin, in meinem eigenen Bett, neben einem schönen Bremer, der intakte Zähne und keine Drogenvergangenheit und dadurch keine Ähnlichkeit mit den anderen Männern in meiner Familie hatte.
Es war erschreckend, denn ich klang genau wie meine Mutter während The Change. Ich war die Einzige, die immer noch zu Hause wohnte, doch sie konnte meinen Namen nicht im Kopf behalten. »Mary Ann, Ralph …«
»Gayle«, schlug ich immer wieder hilfreich vor.
»What?«, fragte sie perplex und guckte mich an, als ob ich sie aus einem Traum geweckt hätte.
»I’m Gayle!«, sagte ich, etwas beleidigt.
»Of course you are, darling«, sagte sie herablassend und bügelte oder rauchte oder telefonierte einfach weiter, ohne zu merken, dass sie gerade mich oder irgendjemand anders zu sich gerufen hatte. Und jetzt guckte ich meinen Mann auf die gleiche Art an. My cheesy brain schmilzt. Mein Hippocampus wurde wahrscheinlich gerade überbacken wie Camembert und erlebte einen Meltdown of it’s very own.
Nicht nur mein Gehirn war extrem müde seit meiner Rückkehr aus den USA, denn ich hatte viel zu wenig geschlafen, und nach meiner frühmorgendlichen Landung in Tegel beging ich den fatalen Fehler eines Transatlantik-Travellers: Ich hielt ein Mittagsschläfchen.
Ich fliege seit Jahren diese Strecke und weiß ganz genau, dass man wach bleiben und so spät wie möglich ins Bett gehen sollte, um den Schlafrhythmus anzupassen, aber mein Körper und meine Seele waren so erschöpft und mein eigenes Kopfkissen und die wunderschöne Bettwäscheso unwiderstehlich, dass ich keine andere Wahl hatte.
Mein Mann brachte mir eine Tasse Tee ans Bett und sagte leise: »Du musst jetzt wirklich aufstehen. Morgen früh hast du Probe, du wirst heute Nacht nicht schlafen können.«
Ich drehte mich um, schlabberte auf das Kissen, rieb mein verquollenes Gesicht und nannte ihn Ralph. Er sagte: »Ich meine das nicht negativ, aber du bist total durchgedreht.«
Ich sagte: »Fuck you.«
Es ist nicht leicht, der Lebensgefährte einer Frau in den Wechseljahren zu sein. Mein Mann ist acht Jahre jünger als ich. Er kommt aus Bremen. Wie sollte er wissen, was The Change ist? In seinem Leben in der bodenständigen Hansestadt hat sich wahrscheinlich in Jahrzehnten nicht so viel geändert wie bei mir in den letzten Monaten.
Ich werde nie vergessen, wie er mein Herz erobert hat. Er hat mir ein Mixtape mit der Post geschickt. Ein Mixtape – damals. Das war spannend! Ich habe einmal versucht, meiner Nichte dieses prickelnde Gefühl der Vorfreude zu
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