Someone like you - Dessen, S: Someone like you
als beim ersten Mal, und sah sich erneut um. »Ein Armband? Ist Scarlett bei dir?«
»Ja.« Die Lügen purzelten nur so aus mir heraus. »Ich meine, nein, sie war zwar hier, aber nachdem wir das Armband wiedergefunden hatten, ist sie zurück zu sich nach Hause. Sie ist nämlich total erkältet. Ich wollte gerade hinter ihr her, da hast du das Fenster geöffnet.«
Macon, der mir gegenüberstand, lachte lautlos in sich hinein.
»Ist es nicht sowieso allmählich Zeit, dass du heimkommst?«, fragte mein Vater. »Schon beinahe halb elf.«
»Ich komme um elf, okay?«
»Ihr solltet beide kommen, und zwar jetzt. Noah hat einen super Film mitgebracht. Und ich habe gerade frisches Popcorn gezaubert.«
»Klingt toll, aber ich gehe jetzt besser noch mal rüber, Scarlett wartet auf mich«, erwiderte ich rasch und zog mich in den schützenden Schatten des Baumes hinter mir zurück. »Wir sehen uns morgen früh.«
Er schnippte mit den Fingern. »Stimmt, du hast morgen früh ja eine Verabredung mit . . .«, an dieser Stelle legte er eine Kunstpause ein, ». . . dem Monster!«
Ich wäre am liebsten im Boden versunken.
»Monster?«, wisperte Macon grinsend, während mein Vater ein gefährliches Knurren von sich gab.
Das Monster. So nannte mein Vater seinen größten Schatz, einen elektrischen Rasenmäher. Kann irgendwas auf dieser Welt peinlicher sein?
»Klar.« Ich wandte meine gesamte telepathische Energie auf, um ihn zum Gehen zu bewegen. »Du wirst schon Recht haben.«
|110| »Na dann.« Er machte das Fenster wieder zu, wobei er mit der Handkante an der Stelle gegenhalten musste, wo es klemmte. »Es wäre übrigens nett, wenn du mit dem Herumschleichen aufhören könntest. Du hast Clara zu Tode erschreckt.«
»Okay«, antwortete ich. Der Fensterriegel schnappte ein. Hinter der Scheibe konnte ich die Decke meines Zimmers sehen, bis das Licht ausging. Dennoch blieb ich keuchend vor Anspannung stehen und rührte mich nicht vom Fleck, bis ich sicher sein konnte, dass er tatsächlich fort war.
Macon löste sich aus dem Schatten der Hauswand, so dass ich seine Silhouette sehen konnte. »Du bist ja eine raffinierte Lügnerin.«
»Stimmt gar nicht«, erwiderte ich. »Jedenfalls nicht immer. Aber er wäre ausgeflippt, wenn er dich entdeckt hät te .«
»Soll ich abhauen?« Er trat noch näher zu mir. Trotz der Dunkelheit wusste ich genau, wie sein Gesicht aussah, kannte jeden Millimeter. Hatte dieses Gesicht durch Badminton- und Volleyballnetze in etlichen Sportstunden studiert.
»Ja«, antwortete ich energisch. Er tat, als würde er gehen. Ich fasste ihn am Arm, hielt ihn zurück. »Das war ein Witz.«
»Sicher?«
»Ja.« Einen Augenblick lang kam es mir so vor, als wä re ich nicht mehr ich selbst, sondern ein anderes Mäd chen , ein kesses, mutiges, wildes. Das lag an Macon. Er hatte etwas an sich, wodurch ich mich anders verhielt als sonst. Endlich nahm die Fläche zwischen den Umrissen in jenem Malbuch etwas Farbe an. Noch immer lag meine |111| Hand auf seinem Arm; mein Gesicht fühlte sich ganz heiß an. Dort, in der Dunkelheit, hätte ich ebenso gut Elizabeth Gunderson oder Ginny Tabor oder sogar Scarlett sein können – irgendein Mädchen eben, das aufregende Dinge erlebte. Als er sich vorbeugte, um mich zu küssen, dachte ich an gar nichts. Nur daran, wie abgefahren, wie unfassbar es war, dass alles, was gerade geschah, ausgerechnet auf der Wiese neben meinem Elternhaus stattfand, einem Ort, der mir vertraut war wie meine eigene Hand.
In dem Moment bog auf quietschenden Reifen ein Auto um die Ecke. Musik dröhnte aus den Lautsprechern. Hupend fuhr es an unserem Haus vorbei und bog auf die Honeysuckle Road ab, wo es mit laufendem Motor stehen blieb.
»Ich muss los.« Macon küsste mich ein zweites Mal. »Ich rufe dich morgen an.«
»Warte doch mal.« Aber er wich bereits zurück, fort von mir, wobei er allerdings meine Hand festhielt, bis er sie endgültig loslassen musste. »Wo willst du hin?«
»Faulkner? Wo steckst du?« Die Stimme drang definitiv aus jenem Wagen. Und sie war sehr laut.
»Ciao, Halley«, flüsterte er und lächelte mir ein letztes Mal zu, bevor er um die Hausecke bog und in den tiefen Schatten unseres Gartens hinter dem Haus verschwand. Ich folgte ihm, blieb allerdings an der Ecke stehen und sah zu, wie er gebückt unter dem Küchenfenster entlangschlich. Dort stand in diesem Moment Noah Vaughn, der eine Cola in der Hand hielt und mich mit ernster, steinerner Miene anstarrte. Doch was
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