Someone like you - Dessen, S: Someone like you
ich sein flüs terndes |106| Rufen hören konnte – sofern man flüsternd rufen kann.
»Halley!« Pause. Und Pling, als das nächste Steinchen an die Fensterscheibe flog. »Halley!«
Ich stellte mich hinter den Baum, der im Sommer seinen Schatten über mein Schlafzimmerfenster wirft. Jetzt war ich keinen Meter mehr von Macon Faulkner entfernt, der entschlossen schien, meine Fensterscheibe einzuwerfen oder sie zumindest so weit zu lädieren, dass sie irgendwann von selbst in sich zusammenfallen würde.
»Halley!« Er trat noch dichter an die Hausmauer heran und renkte sich fast den Hals aus, so angestrengt blickte er nach oben.
Leise schlich ich mich an und tippte ihm mit dem Finger auf die Schulter, als er gerade einen weiteren Kiesel in die Höhe schnellen ließ. Er fuhr jäh herum, wodurch der Wurf missglückte: Der Kiesel fiel steil wieder herunter, auf Macons Kopf, von dem er abprallte. Schließlich landete er zwischen uns auf der Erde.
»Shit!« Erschrocken und verwirrt blinzelte er mich an. »Wo kommst du so plötzlich her?«
»Warum versuchst du mein Fenster einzuwerfen?«
»Falsch. Ich habe bloß versucht dich irgendwie ans Fenster zu locken.«
»Aber ich war gar nicht im Zimmer.«
»Das kann ich doch nicht riechen«, antwortete er. »Mann, hast du mich erschreckt.«
»Tut mir Leid.« Ich konnte es noch immer nicht fassen: Macon hier, in unserem Garten, als wäre er eine Art Geist, den ich mir durch bloße Gedankenkraft herbeigewünscht hatte. »Woher wusstest du überhaupt, dass dieses Fenster zu meinem Zimmer gehört?«
|107| »Einfach so«, entgegnete er, einfach so, nichts weiter. Ich kannte ihn schon gut genug, um zu wissen, dass er keine Erklärungen ablieferte, wenn er nicht unbedingt musste. Er wirkte wegen meiner Schleichattacke immer noch ein bisschen fahrig; doch gleichzeitig lächelte er auch schon wieder, ganz cool, als wäre es völlig normal, dass wir mitten in der Nacht unter meinem Schlafzimmerfenster standen. Seine Zähne leuchteten weiß in der Dunkelheit. »Wo hast du gesteckt?«
»Wann?«
»Heute Abend. Ich dachte, du würdest zu der Party kommen.«
»Ich war da.« Ich versuchte meiner Stimme einen mög lichst lässigen Tonfall zu verleihen. »Aber dich habe ich nirgendwo gesehen.«
»Das ist glatt gelogen«, meinte er im Brustton der Über zeugung .
»Ich war echt da«, erwiderte ich. »Wir sind gerade erst heimgekommen.«
Er fiel mir ins Wort, übertönte mich: »Ich war seit sieben Uhr auf dieser Party und habe dich überall gesucht, auf dich gewartet, aber du hast mich versetzt –«
»Nein, du hast
mich
versetzt«, unterbrach ich ihn, indem ich noch lauter redete als er. »Scarlett ist meine Zeugin.«
»Scarlett? Sie war auch nicht da.«
»Doch, war sie. Mit mir zusammen.« Ich schaute über die Straße zu Scarletts Haus hin; sie stand auf den Stufen, schirmte mit der Hand ihre Augen ab, um besser sehen zu können, und schaute zu uns herüber. Ich winkte ihr zu. Sie winkte zurück, hockte sich hin und putzte sich die Nase.
|108| »Ich war oben, habe dich aber nirgends entdeckt«, fuhr er fort.
»Wo oben?«
»Unterm Dach.«
»Ach so. Bis dahin sind wir gar nicht vorgedrungen«, sagte ich.
»Warum nicht?«
Ich sah ihn an. »Warum sollten wir?«
»Keine Ahnung.« Ihm gingen die Argumente aus. »Ich war jedenfalls in Ginnys Haus unterm Dach.«
In meinem Zimmer ging das Licht an. Ich hörte, wie das Fenster hochgeschoben wurde. Mein Vater streckte den Kopf heraus und ließ seinen Blick aufmerksam durch die Dunkelheit schweifen. Ich schob Macon tiefer in den Schatten der Hauswand und trat dann selbst ein paar Schritte zurück, so dass ich im Schein der Verandalampe sichtbar wurde.
»Hallo«, rief ich. Dieses Mal erschreckte ich meinen Vater, so dass er zurückfuhr und sich dabei den Kopf am Fensterrahmen stieß. »Ich bin’s. Hier unten.«
»Halley?« Er rieb sich den Kopf, wandte sich um und meinte zu jemandem in meinem Zimmer: »Schön weiterschlafen, Clara, das da draußen ist bloß Halley. Du kannst ganz beruhigt sein.«
Macon blickte zu meinem Vater hoch. Wenn er direkt unter sich geschaut hätte, wäre ihm nicht entgangen, dass Macon an der Hauswand stand.
»Ich habe etwas gesucht«, sagte ich unvermittelt. Ich hatte meinen Vater noch nicht oft belogen und war daher dankbar für die Dunkelheit. »Mir ist ein Armband von Scarlett auf den Boden gefallen. Das haben wir gesucht.«
|109| Mein Vater steckte den Kopf wieder durchs Fenster, noch weiter
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