Someone like you - Dessen, S: Someone like you
»Ich mache mich besser mal fertig.«
Sie war im Begriff, den Raum zu verlassen. Ich warf Scarlett einen zweiten Blick zu, den sie mit ausdruckslosem Gesicht erwiderte. Wir starrten einander ein paar Sekunden lang schweigend an; jede fand, die andere sollte |127| den Anfang machen. Schließlich sagte Scarlett leise: »Warte.« Und zwar so lahm und so leise, dass kein Mensch sich angesprochen fühlen konnte.
Marion hörte sie nicht einmal. Scarlett zuckte die Achseln, nach dem Motto: Ich hab’s versucht. Ich stand auf. Also gut, würde ich sie eben zurückrufen. Marion lief bereits die Treppe hinauf, erreichte gerade die dritte Stufe – die, die immer knarrt –, als Scarlett einen tiefen Seufzer ausstieß. »Marion, warte«, sagte sie noch einmal, um einiges lauter als vorher.
Marion kam zurück und steckte den Kopf durch die Küchentür. Sie hatte an dem Tag bei
Fabulous You
zwei Frauen auf glamourös trimmen müssen, von denen jede mindestens hundertdreißig Kilo wog. Und um das Ganze zu toppen, wollte die eine sich in Reizwäsche fotografieren lassen. Marion war entsprechend erledigt. »Was gibt’s?«
»Ich muss mit dir reden.«
Marion blieb im Türrahmen stehen. »Was ist los?«
Scarlett sah mich an, als würden wir gerade ein Staffelrennen laufen und jetzt sollte ich den Stab übernehmen und weitertragen, bitte. Marion wurde allmählich nervös.
»Was habt ihr?« Sie blickte abwechselnd von Scarlett zu mir. »Was ist los?«
»Was Schlimmes.« Scarlett begann zu weinen. »Echt, eine Katastrophe.«
»Katastrophe?« Marion wirkte jetzt nicht mehr unruhig, sondern besorgt. »Scarlett, erzähl schon, was ist passiert. Sofort.«
»Ich kann nicht«, schluchzte Scarlett, die kaum ein Wort rauskriegte.
»Du sagst mir
auf der Stelle
, was los ist!« Marion stemmte die Hände in die Hüften – die klassische Haltung meiner |128| Mutter. Doch zu Marion passte diese Haltung gar nicht; sie sah aus, als wäre sie verkleidet und trüge einen albernen Hut oder so etwas. »Ich frage nicht noch einmal.«
»Ich bin schwanger«, platzte Scarlett heraus.
Unvermittelt herrschte völlige Stille. Mir fiel auf, dass der Wasserhahn leckte. Tropf tropf tropf.
Endlich sagte Marion dann doch etwas, und zwar: »Seit wann?«
Scarlett brauchte einen Moment, um sich in den Griff zu kriegen. Sie hatte alles Mögliche erwartet, aber nicht diese Frage. »Seit wann?«, fragte sie zurück.
»Ja.« Marion sah weder Scarlett noch mich an.
»Äh . . .« Scarlett warf mir einen Blick zu. »Seit August vielleicht?«
»August«, wiederholte Marion, als wäre das des Rätsels Lösung, und seufzte laut. »Na dann.«
An der Haustür ertönte ein munteres Klingeln. Als ich durchs vordere Fenster blickte, konnte ich Steve/Vlad sehen, der mitsamt Blumenstrauß auf der Veranda stand. Er winkte uns zu und klingelte ein zweites Mal.
»Ach, du liebe Zeit«, sagte Marion. »Da ist Steve ja schon.«
»Marion.« Scarlett ging auf ihre Mutter zu. »Ich habe das wirklich nicht gewollt, ich habe auch verhütet und so, bestimmt, aber –«
Marion fiel ihr ins Wort: »Darüber sprechen wir später noch.« Nervös fuhr sie sich mit den Händen durch die Haare und strich ihr Kleid glatt, während sie Richtung Haustür lief. »Im Moment kann ich nicht . . . ich kann jetzt nicht darüber reden.«
Scarlett wischte sich über die Augen, öffnete den |129| Mund, um etwas zu sagen, ließ es aber sein, drehte sich auf dem Absatz um und rannte die Treppe hoch. Die Tür zu ihrem Zimmer wurde zugeknallt. Laut, sehr laut.
Marion atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen und öffnete die Haustür. Steve, in sportlichem Jackett und Slippers, trat lächelnd auf sie zu, überreichte ihr die Blumen.
»Hallo. Bist du so weit?«
»Nicht ganz.« Tapfer erwiderte Marion sein Lächeln. »Ich muss schnell noch etwas holen. Bin gleich wieder da, okay?«
»Kein Problem.«
Marion lief die Treppe hoch. Ich hörte, wie sie an Scarletts Tür klopfte und mit gedämpfter Stimme etwas sagte. Steve kam zu mir in die Küche. Unter dem grellen Neonlicht sah er noch durchschnittlicher aus als ohnehin schon. »Hi«, meinte er. »Ich heiße Steve.«
»Und ich heiße Halley«, sagte ich und versuchte gleichzeitig mitzukriegen, was oben abging. »Hallo.«
»Bist du eine Freundin von Scarlett?«
»Ja.« Durch die Decke über unseren Köpfen drang mittlerweile Scarletts Stimme, und zwar ziemlich laut. Mir war, als hörte ich das Wort
Heuchlerin
. »Scarlett ist meine
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