Someone like you - Dessen, S: Someone like you
nur stumm den Kopf.
»Was?«, wiederholte ich. »Spuck’s endlich aus.«
Scarlett wandte sich um und holte etwas hervor, das sie |124| hinter den Handtuchspender gesteckt hatte: ein schmaler weißer Plastikstab, der am Ende mit einem kleinen Kreis markiert war. Erst als sie mir das Teil näher hinhielt, konnte ich das kleine rosa Kreuz in dem Kreis erkennen. Und dann fiel endlich der Groschen.
»Nein. Niemals.«
Aber sie biss sich auf die Lippen und nickte: »Doch, ich bin schwanger.«
»Unmöglich.«
»Doch, sieh genau hin. Ich bin schwanger.« Sie wedelte mit dem Test vor meiner Nase herum, bis das rosa Kreuz vor meinen Augen verschwamm.
»Die Dinger sind überhaupt nicht zuverlässig.« Als wä re ich die Expertin für Schwangerschaftstests!
»Das ist aber schon mein dritter.«
»Und?«
»Und was? Nach dem dritten Test ist jeder Irrtum ausgeschlossen, Halley. Außerdem wache ich seit drei Wochen jeden Morgen auf und mir ist kotzübel, ich renne ständig aufs Klo, weil ich pinkeln muss – die Zeichen sprechen alle dafür. Ich bin schwanger.«
»Nein.« Vor meinem geistigen Auge erschien plötzlich meine Mutter. Ihre Lippen formten ein einziges Wort:
Verdrängung.
»Niemals. Unmöglich.«
»Was soll ich denn jetzt machen?« Aufgewühlt tigerte sie durch den Raum. »Wir hatten nur ein einziges Mal Sex.«
»Du hattest
Sex
?«, fragte ich unwillkürlich.
Scarlett blieb stehen. »
Natürlich
hatte ich Sex. Komm, Halley, reiß dich zusammen, ich brauche deine Hilfe.
Jetzt.
«
»Aber du hast mir nichts davon erzählt. Warum hast du mir das nicht erzählt?«
|125| Sie stieß einen hörbaren Seufzer aus. »Meine Güte, Halley, ich habe keine Ahnung, warum ich es dir nicht erzählt habe. Vielleicht weil er am nächsten Tag
gestorben
ist, stell dir vor.«
»O mein Gott«, sagte ich. »Habt ihr denn nicht verhü tet ?«
»Doch, natürlich. Aber irgendwas lief wohl schief. Ich weiß auch nicht genau. Es ist anscheinend abgegangen und ich habe es erst hinterher gemerkt. Außerdem . . .«, ihre Stimme wurde immer lauter, immer höher, ». . . dachte ich, beim ersten Mal kann man gar nicht schwanger werden. Ich dachte, das wäre biologisch unmöglich.«
»Es ist abgegangen?« Ich kapierte immer noch nicht genau; die Vorgänge beim Sex waren mir nicht so richtig vertraut. »O mein Gott.«
»Es geht nicht.« Sie drückte mit allen zehn Fingern gegen ihre Schläfen, so fest, dass es wehtun musste. Die Geste hatte ich bei ihr noch nie gesehen. »Es ist voll der Wahnsinn. Ich kann doch kein Kind kriegen, Halley.«
»Natürlich nicht.«
»Aber was dann? Eine Abtreibung?« Sie schüttelte den Kopf. »Das bringe ich nicht. Vielleicht sollte ich es behalten.«
»O mein Gott«, wiederholte ich.
»Bitte.« Sie kauerte sich an die Wand, zog die Knie an die Brust. »Hör bitte auf ›o mein Gott‹ zu sagen.«
Ich ging zu ihr, hockte mich neben sie, legte meinen Arm um ihre Schulter. Und so saßen wir da, auf dem kalten Fußboden der Damentoilette von
Milton’s Supermarket
, während über uns aus dem Lautsprecher gedämpftes Supermarktgedudel ertönte.
|126| »Alles wird gut«, sagte ich. So zuversichtlich wie mög lich . »Wir schaffen das.«
»Ach, Halley«, meinte sie leise und lehnte sich an mich. Der Schwangerschaftstest lag vor uns, die Seite mit dem Pluszeichen nach oben. »Er fehlt mir. Er fehlt mir so sehr.«
»Ich weiß.« Und ich wusste: Von nun an war es meine Aufgabe, uns durchzuziehen. Irgendwie mussten wir bewältigen, was vor uns lag, und ich war definitiv an der Reihe, die Führung zu übernehmen. »Alles wird gut, Scarlett. Wir kriegen das hin, glaub mir.«
Doch ich hatte Angst. Noch während die Worte über meine Lippen kamen, kriegte ich totalen Schiss.
An jenem Abend fand bei Scarlett am Küchentisch eine Besprechung statt. Anwesend: Ich, Scarlett und Marion, die noch keine Ahnung hatte und so langsam aß, dass es Scarlett und mich fast wahnsinnig machte. Um acht Uhr war sie mit Steve/Vlad verabredet; zu allem Überfluss mussten wir die Mission
Wie sag ich’s meiner Mutter?
also auch noch innerhalb einer bestimmten Zeit über die Büh ne und hinter uns bringen.
»Es ist gleich acht«, meinte ich schließlich und warf Scarlett, die eifrig damit beschäftigt war, den Serviettenständer aufzufüllen, und zu viele Servietten hineinstopfte, einen bedeutsamen Blick zu.
»Wirklich, schon so spät?« Marion warf einen Blick auf die Küchenuhr, schnappte sich ihre Zigaretten und stand auf.
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