Someone like you - Dessen, S: Someone like you
sich auf meine Bettkante. »Warum hast du mir nicht erzählt, was mit Scarlett los ist?«
»Ich durfte nicht«, antwortete ich. »Niemand sollte es wissen.«
»Du glaubtest, ich würde sauer werden«, meinte sie nachdenklich.
»Nein, ich dachte, du würdest nur ein bisschen ausflippen.«
Sie lächelte und nahm sich eine Hand voll Popcorn. »Um ehrlich zu sein, bin ich tatsächlich ein bisschen ausgeflippt.«
»Sie will es behalten, oder?«
Sie stieß einen Seufzer aus und rieb sich mehrmals mit der Hand über den Nacken. »Ja, das ist es, was Scarlett will. Marion dagegen hofft, dass sie ihre Meinung noch än dert und es zur Adoption freigibt. Ein Kind aufzuziehen ist viel Arbeit, Halley. Und Scarletts Leben wird nie wieder so sein wie vorher.«
»Ich weiß.«
»Natürlich ist es ein schönes Gefühl, wenn es jemanden gibt, der ganz und gar zu einem gehört, diese bedingungslose Liebe zwischen Mutter und Kind. Aber als Mutter hat man so viel Verantwortung: finanziell, emotional, physisch. Alles ändert sich dadurch, alles wird davon beeinflusst. Scarletts Ausbildung, ihre Zukunft, alles. Diese Verantwortung zu übernehmen, wenn man noch so jung ist . . . meiner Meinung nach ist das keine kluge Entscheidung. Ich bin mir sicher, teilweise hängt es damit zusammen, dass sie ein Stück von Michael festhalten will. Es gehört |154| zum Prozess des Trauerns. Aber ein Baby ist mehr als das, ein Baby bleibt, auch wenn das Trauern vorbei ist.« Sie kam richtig in Fahrt, ihre Stimme wurde lauter, glatter, flüssiger.
»Mom, ich bin nicht Scarlett«, sagte ich.
Sie atmete tief durch, wollte noch etwas sagen, ließ es aber und seufzte. »Ich weiß, mein Schatz. Trotzdem frustriert es mich, denn ich finde, sie macht einen großen Fehler.«
»Sie hält es nicht für einen Fehler.«
»Im Moment noch nicht, nein. Aber eines Tages wird sie es bereuen. Wenn sie angebunden ist, weil sie ein Kind hat, während du und ihre anderen Freunde, wenn ihr alle aufs College geht, durch die Welt reist, euer Leben lebt.«
»Ich will gar nicht durch die Welt reisen«, sagte ich ruhig und nahm eine Hand voll Popcorn.
Sie legte den Arm um meine Schulter. »Ich meine Folgendes: Dein ganzes Leben liegt noch vor dir. Für Scarlett gilt das Gleiche. Ihr seid zu jung, um jetzt schon die Verantwortung für ein zweites Leben zu übernehmen.«
Von unten hörte man eine ganze Salve von Schüssen. Mein Vater lachte. Wieder einmal war es Freitagabend. Und wieder einmal war ich daheim, mit den Vaughns. Mein Leben vor Macon.
»Jetzt zurück zu dem, was heute passiert ist«, sagte meine Mutter. Doch das Feuer war erloschen, verraucht die Wut, die sie noch vor kurzer Zeit – als sie mich am liebsten geteert, gefedert und gevierteilt hätte – zu mir hochgetragen hatte wie eine lodernde Flamme. »Wir können nicht einfach darüber hinweggehen, Liebes. Es bleibt bei der Strafe, wie vorhin besprochen, auch wenn du dachtest, du müsstest Scarlett helfen.«
|155| »Ja, ja.« Mir war klar, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können. Einzig und allein dank der Tatsache, dass nicht
ich
schwanger war, hatte ihr Zorn sich nicht völ lig ungebremst über mir entladen. Wieder einmal hatte Scarlett mich gerettet.
Sie stand auf, wischte ein paar Popcornkrümel von ihrer Hose. Ich konnte sie förmlich vor mir sehen, wie sie an Scarletts Küchentisch gesessen – auf
meinem
Territorium – und im Beisein von Scarlett und Marion eine Art Waffenstillstand zwischen ihnen ausgehandelt hatte. Meine Mutter besaß durchaus ein Talent dafür, Frieden zu schließen. Nur mit mir nicht.
»Warum kommst du nicht mit runter und schaust dir das Video mit uns an? Die Vaughns haben dich schon so lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Clara schwärmt immer von dir.«
»Clara ist fünf, Mom.« Ich versuchte noch einmal an dem Strohhalm zu ziehen. Vergeblich. Gab daher auf und stellte das Glas endgültig auf meinem Nachttisch ab.
»Weiß ich doch.« Sie blieb in der Tür stehen, lehnte sich gegen den Rahmen. »Mach, wie du möchtest. Vielleicht überlegst du es dir ja noch anders.«
»Okay.«
Sie wollte gerade gehen, doch dann wandte sie sich noch einmal zu mir um. »Marion meinte, der Junge, der mit euch zusammen war, heißt Macon und ist dein Freund.«
Dass Marion auch nie die Klappe halten konnte. Ich legte mich aufs Bett, drehte ihr den Rücken zu und zog die Knie an die Brust. »Es ist einfach bloß ein Junge, den ich zufällig kenne, Mom.«
»Du hast mir noch
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