Someone like you - Dessen, S: Someone like you
nicht normal. Michael zu verlieren auch nicht. Nichts war je normal.«
|144| Macon stand drinnen vor der Kasse Schlange und jong lierte währenddessen mit drei Tüten Süßigkeiten. Vor zwei Monaten, als Michael gestorben war, hatte ich ihn noch nicht mal gekannt. »Es wird natürlich nicht leicht werden«, sagte ich. Versuchte mir uns zwei mit einem Baby vorzustellen. Es ging nicht. Alles, was ich vor mir sah, war ein Schatten auf Scarletts Arm, eine verschwommene, undefinierbare Gestalt. Unmöglich, sich das vorzustellen.
»Weiß ich selbst.« Sie seufzte. In dem Moment klang sie wie meine Mutter. »Alle werden denken, ich bin überge schnappt . Ach was, einfach
dumm
. Aber das ist mir egal. Ich will es behalten. Ich weiß, das ist das Richtige. Und ich erwarte von niemandem, dass er mich versteht.«
Ich sah sie an, meine beste Freundin. Scarlett, der ich alles zu verdanken hatte, was an meinem Leben gut war, weil sie mich dorthin mitgenommen oder geführt, manchmal sogar geprügelt hatte, wenn es sein musste. »Bis auf mich«, sagte ich. »Ich verstehe dich.«
»Bis auf dich«, wiederholte sie sanft und lächelte mich an. Und von dieser Sekunde an stellte ich ihre Entscheidung nie mehr infrage.
Wir fuhren den ganzen Tag lang mehr oder minder ziellos durch die Gegend, aßen in Macons Lieblingspizzeria – von der er mir, Geheimniskrämer, der er war, noch nie etwas erzählt hatte. Suchten überall nach einem Kerl, den er kannte und von dem er irgendwas wollte, aus irgendeinem Grund, der nie wirklich erklärt oder ersichtlich wurde. Hörten Radio, schlugen die Zeit tot. Zwischendurch rief Scarlett Marion an und behauptete, sie sei mit dem Taxi heimgefahren. Fürs Erste war also alles geregelt.
Gegen Abend setzte Macon uns ein paar Straßen weiter |145| ab, damit ich so tun konnte, als wäre ich mit dem Bus nach Hause gefahren. Beim Davonfahren hupte er, bevor er um die Ecke verschwand. Scarlett versuchte sich so gut es ging zu sammeln, bevor sie heimlief, um auf Marion zu warten.
Als ich in unser Haus trat, fiel mir sofort die seltsam angespannte Stille auf; außerdem stürzte mein Vater im selben Moment, da er mich sah, davon. Aber nicht schnell genug, denn sein Gesicht konnte ich vorher noch sehen. Sein Gesicht hatte den typischen
Ich-glaube-ich-muss-gleich-mal-Milchshakes-machen -Ausdruck
. Und zwar – in diesem Fall – sehr, sehr viele Milchshakes.
»Hallo, bin wieder da«, rief ich. Es roch nach Lasagne. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich einen Riesenhunger hatte. Die Erkenntnis lenkte mich kurzfristig vom Gesichtsausdruck meines Vaters und was er bedeutete ab, doch da kam auch schon meine Mutter mit Geschirrtuch in der Hand aus der Küche. Ich merkte sofort, dass ich in der Patsche saß, und zwar gewaltig, denn sie hatte diesen spitzen, entschlossenen Gesichtsausdruck drauf, den sie für solche Fälle reserviert hat.
»Hallo«, meinte sie jedoch erst einmal beiläufig und faltete das Geschirrtuch zusammen. »Wie war’s in der Schule?«
»Also . . .«, begann ich, während sich mein Vater noch einmal an uns vorbeidrückte, diesmal Richtung Küche. »Es war –«
Sie unterbrach mich: »An deiner Stelle würde ich mir sehr genau überlegen, was ich antworte.« Ihre Stimme klang immer noch ganz ruhig, ganz gelassen. »Denn wenn du mich anlügst, wird deine Strafe umso härter ausfallen.«
Ich war aufgeflogen. Leugnen zwecklos.
»Heute Morgen, gegen Viertel vor elf, habe ich dich |146| nämlich gesehen, Halley. Um die Zeit hast du, soweit ich weiß, Sportunterricht. Stattdessen saßest du in einem Auto, das die First Street entlangfuhr.«
»Mom, ich kann –«
Sie hob die Hand, ließ mich nicht zu Wort kommen. »Nein, erst lässt du mich ausreden. Ich habe in der Schule angerufen und zu meinem Erstaunen erfahren, dass ich doch gerade schon einmal mit der Schulsekretärin gesprochen hätte. Angeblich bat ich darum, dich wegen eines Notfalls in der Familie nach Hause zu schicken.«
Ich schluckte; es tat regelrecht weh.
»Ich
fasse
es nicht, dass du mich derart anlügst«, fuhr sie fort. Ich starrte auf den Boden. Aber ich hatte auch gar keine Alternative. »Geschweige denn, dass du die Schule schwänzt und dich mit einem Jungen herumtreibst, den ich nicht kenne. Und mit Scarlett. Ausgerechnet Scarlett, die ich wahrhaftig für vernünftiger gehalten hätte. Ich habe Marion bei der Arbeit angerufen. Sie ist genauso aufgebracht wie ich.«
»Du hast Marion erzählt, dass Scarlett mit
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