Someone like you - Dessen, S: Someone like you
entschlossen gewesen die Tür zum Operationssaal notfalls mit einem Stuhl zu blockieren, auf dem sie sitzen und sich nicht vom Fleck rühren würde, bis die Sache erledigt war. Die beiden hatten einen Riesenkrach. Scarlett meinte, sie habe ihre Tasche gepackt und sei im Prinzip schon halb durch die Tür gewesen, nur weg, egal wohin, als meine Mutter plötzlich in ihrer roten Wolljacke vor der Tür stand, wie ein Krisenspezialist, der im Fall eines Falles alles für einen regelt. Sie setzte sich neben Scarlett, hielt Händchen, verteilte Tempotaschentücher und beruhigte Marion, bis jene überhaupt erst mal wieder in der Lage war zuzuhören. Dann ließ meine Mutter Scarlett erzäh len , warum sie es überhaupt getan beziehungsweise eben nicht getan hatte, und mischte sich beruhigend ein, wenn Scarlett und Marion einander wieder angifteten. Meine Mutter glättete Wogen und erklärte komplizierte Zusammenhänge, bis die drei am Ende zu folgendem Ergebnis gelangten: Scarlett würde das Kind zwar austragen, |160| gleichzeitig jedoch Marions Wunsch respektieren, über eine Adoption zumindest ernsthaft nachzudenken. In diesem Kompromiss bestand der mühsam ausgehandelte Waffenstillstand.
»Ich sag’s dir«, meinte Scarlett zum wiederholten Male, während ich meine Pasta vertilgte, »deine Mutter hat ein Wunder vollbracht.«
»Und mir einen Monat Hausarrest verpasst«, flüsterte ich zurück. »Ich kann später nicht mal mehr weggehen.«
»Aber das hier ist doch auch schön«, frotzelte Scarlett. »Noah scheint sich richtig für dich zu freuen.«
»Halt die Klappe.« Ich hatte die Nase gründlich voll von meinem Geburtstag.
»Ich würde gerne auf Halley trinken.« Meine Mutter stand mit ihrem Weinglas auf. Mein Vater, der neben ihr saß, nickte lächelnd. »Auf Halleys sechzehnten Geburtstag!«
»Auf Halley«, wiederholten die anderen mit erhobenen Weingläsern. Nur Noah starrte dumpf aufs Tischtuch. Er hatte mich an diesem Abend noch kein einziges Mal angesehen.
»Ich wünsche dir, dass dein neues Lebensjahr noch schöner wird als alle bisherigen«, fuhr meine Mutter fort. Obwohl die anderen schon getrunken hatten, blieb sie stehen. »Wir lieben dich.«
Notgedrungen stießen alle noch einmal miteinander an. Doch meine Mutter setzte sich einfach nicht wieder hin, sondern strahlte mich mit vor Freude erhitztem Gesicht an, als wäre gestern nie passiert.
Daheim packte ich meine Geschenke aus. Von meinen Eltern bekam ich Klamotten und Kohle, von den Vaughns ein Buch, von Noah wundersamerweise ein silbernes Armband; |161| er drückte mir die kleine Schmuckschachtel in die Hand, als gerade niemand hinsah, und fuhr dann fort mich für den Rest des Abends zu ignorieren. Scarlett schenkte mir Ohrstecker und einen Schlüsselring für meine zukünf tigen Autoschlüssel; bevor sie nach Hause ging, umarmte sie mich gerührt und sagte, sie habe mich lieb. Ich umarmte sie ebenfalls und versuchte mir dabei vorzustellen, wie das wohl sein würde: Scarlett mit Kind. Aber nicht einmal Scarlett als Schwangere wollte mir so recht in den Kopf. Dabei
war
sie schwanger.
Gegen elf – ich wollte gerade ins Bett – hörte ich es plötzlich: das leise, gleichmäßige Brummen eines Wagens, der langsam die Straße entlang an unserem Haus vorbeifuhr und schließlich mit laufendem Motor ein Stück weiter, um die nächste Ecke, stehen blieb. Ich lief ans Fenster, blickte zu dem Stoppschild an der Ecke. Sekunden später rollte der Wagen rückwärts wieder in Sichtweite und wendete, so dass die Scheinwerfer in Richtung unseres Hauses zeigten. Das Fernlicht blinkte. Einmal, zweimal.
Ich zog eine Jacke über meinen Schlafanzug und schlüpfte in meine Schuhe. Schlich an der nur angelehnten Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern vorbei, wo meine Mutter bereits im Bett lag, vorbei auch an meinem Vater, der bei laufendem Fernseher auf dem Sofa vor sich hindöste. Vorsichtig öffnete ich die Hintertür, wobei ich wie ein Luchs aufpasste, dass sie nicht quietschte. Denn an einem bestimmten Punkt quietschte sie immer, aber den kannte ich natürlich. Ich lief ins Freie, auf Zehenspitzen über die Terrasse, ums Haus herum, an den Wacholderbü schen vorbei, über den Bürgersteig, auf die Straße.
»Hi«, meinte Macon, als ich mich zu ihm durchs Wagenfenster beugte. »Steig ein.«
|162| Ich ging ums Auto herum, stieg ein, zog die Beifahrertür hinter mir zu. Drinnen war es warm. Das Armaturenbrett schimmerte hellgrün.
»Bist du bereit für dein
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