Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Buchstaben, die wir bisher für unser Alphabet produziert hatten, hervor und legten uns alles so zurecht, dass wir weiterarbeiten konnten. »Sein Vater ist ein berühmter Koch.«
»Echt?«, sagte ich. Cameron machte mich etwas nervös. Er hatte die für mein Gefühl typischen Eigenschaften eines Menschen, der viel Zeit für sich allein verbringt: irgendwie scheu, immer auf dem Sprung, als müsste er der Gesellschaft anderer entfliehen. Alles in allem etwas eigenartig. »Ist ja irre.«
Scarlett versetzte mir unter dem Tisch einen Tritt und funkelte mich an, als hätte ich mich über ihn lustig gemacht. Was gar nicht stimmte. Cameron stand unvermittelt auf und stakste Richtung Lagerraum, wo die Werkmaterialien aufbewahrt wurden. Sein Gang erinnerte an einen alten Mann, langsam, vorsichtig, als ob er auf jeden Schritt achten müsste. Als er an der Papierschneidemaschine vorbeikam, brachen ein paar Mädchen, die dort herumstanden, in Gekicher aus. Sicher mit Absicht so laut, dass er es hörte.
|189| »Du hast mir gar nicht erzählt, dass Cameron Newton jetzt dein Freund ist«, meinte ich halblaut.
»So ’ne große Sache fand ich das nun auch wieder nicht.« Scarlett schnitt sorgfältig ein O aus. »Andererseits . . . du weißt doch, gestern war ich allein hier, ohne dich. Prompt zerrissen sich Maryann Lister und ihre Clique über mich das Maul. Ich konnte jedes Wort verstehen, sie tratschten über Michael, das Baby, was für eine Schlampe ich bin, blablabla.«
»Wirklich, so einen Mist haben sie verzapft?« Ich wirbelte auf meinem Stuhl herum und durchbohrte Maryann Lister mit bösen Blicken; sie starrte überrascht zurück, bis ich mich wieder abwandte.
»Heute ist es mir egal«, sagte sie. »Aber gestern war mir sowieso schon den ganzen Morgen über speiübel, ich war extrem schlecht drauf, richtig deprimiert. Du warst nicht da, deswegen machte es mir total etwas aus, und ich fing plötzlich an zu flennen, hier in der Klasse, vor allen Leuten. Ich habe versucht es zu unterdrücken, damit niemand etwas merkt, hab’s aber nicht geschafft. Aber gerade als ich mir vorkomme wie das allerletzte Weichei und mir selbst am meisten Leid tue, kommt Cameron auf seinem Stuhl zu mir rübergerobbt und stellt dieses kleine Tondings vor mich auf den Tisch. Ehrlich, es war so cool. Maryann Lister.«
»Wie, Maryann Lister?«
»Wie ich’s sage: Maryann Lister. Eine kleine Figur mit ihrem Gesicht. Das war sie, bis ins letzte Detail. Einfach Wahnsinn, wie er das hingekriegt hatte, bis hin zu dem Grübchen an ihrem Kinn und dem Muster des Pullis, den sie gestern trug.«
»Warum hat er das gemacht?« Ich warf einen Blick zum |190| Materialraum rüber. Cameron, Spachtelmesser in der Hand, lief suchend durch die Gänge zwischen den Regalen.
»Im ersten Moment wusste ich es auch nicht. Trotzdem meinte ich zu ihm, das sei ja irre und echt nett von ihm und so. Aber er hörte gar nicht richtig hin, sondern gab mir sein Geschichtsbuch. Drückte es mir ohne Kommentar in die Hand. Jetzt kapierte ich gar nichts mehr, gab es ihm zurück. In dem Moment laberten diese blöden Puten irgendwas über ihn und mich. Dass wir das perfekte Paar wären oder so etwas.«
»Ich hasse Maryann Lister«, knurrte ich.
»Hör zu, es geht noch weiter.« Sie lachte. »Mit todernstem Gesicht nimmt Cameron also das Buch, stellt sich die kleine Maryann vor uns auf dem Tisch zurecht, schön in die Mitte, hebt das Buch über seinen Kopf, schlägt zu und – macht sie platt. Ich meine, wirklich platt. Bumm! Es war totkomisch, Halley. Ich bin fast gestorben vor Lachen, habe das Buch genommen und auf sie eingeschlagen, bevor er wieder an der Reihe war und dann wieder ich, immer abwechselnd. Wir haben sie zu Mus gehauen. Ich sage dir, der Typ ist so was von witzig, das gibt es gar nicht.«
»Witzig«, wiederholte ich. Cameron kam aus dem Materialraum zurück, einen Tonklumpen in der Hand. Beim Gehen blickte er entschlossen geradeaus – ein Mann, der ein Ziel hat. »Glaubst du echt?«
»Absolut«, erwiderte Scarlett im Brustton der Überzeu gung . Cameron war an unserem Tisch angelangt. »Wart’s ab.«
Den Rest der Woche brachte ich damit zu, Cameron Newton kennen zu lernen, und zwar immer dann, wenn wir zusammen Industrie- und Werbedesign hatten. Scarlett |191| hatte Recht: Er
war
witzig, auf eine seltsame, unauffäl lige Art und so, als würde er es gar nicht ernst, besser gesagt komisch meinen. Man hatte daher immer das Gefühl, gar nicht lachen zu dürfen,
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