Someone like you - Dessen, S: Someone like you
selbst wenn man wollte. Oder musste. Er war sehr kreativ, nein: künstlerisch begabt. Er gestaltete, und zwar innerhalb weniger Minuten, Mini-Porträts aus Ton, bei denen jedes Detail stimmte. Seine kleine Scarlett-Skulptur war so schön wie sie selbst: Gesichtsschnitt, Lächeln, Haar, das über ihre Schultern fiel. Mich formte er auch – ein winziges Gesicht mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Die kleine Figur sah wirklich aus wie ich. Er konnte die ganze Welt im Kleinformat nachbilden.
Scarlett nahm Cameron mit offenen Armen auf und schloss ihn in ihr Herz und Leben ein, genau so, wie sie es vor Jahren mit mir getan hatte. Auch ich mochte Cameron zunehmend lieber, mit seiner tiefen, leisen Stimme, seinen schwarzen Klamotten, seinem sehr eigenen, nervö sen Lachen. Cameron Newton und ich hatten eigentlich nichts gemeinsam, bis auf eins: Scarlett. Doch das genüg te , damit wir Freunde wurden.
Meine Mutter war immer noch nicht glücklich mit Macon. Er brachte Sachen, die sie ihm nicht direkt anhängen konnte. Doch natürlich mutmaßte sie, dass er dahintersteckte. Zum Beispiel die vielen nächtlichen Anrufe; wenn nicht ich sofort und persönlich ans Telefon ging, legte er auf, hinterließ auch nie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Manchmal rief er echt mitten in der Nacht an, wenn das Telefon besonders laut zu schrillen schien, weshalb ich immer sofort abhob, damit es auch ja nur einmal klingelte. Dennoch griff meine Mutter oft ebenfalls zum Hörer, auch wenn sie schon halb eingeschlafen |192| war. Dann hörte ich sie auf dem anderen Apparat, dem neben ihrem Bett, atmen.
»Ist für mich«, sagte ich in diesen Fällen, und sie knallte den Hörer auf die Gabel. Macon lachte. Ich kuschelte mich noch tiefer unter meine Decke und flüsterte, damit sie mich bloß nicht hörte.
»Deine Mutter kann mich nicht ausstehen.« Er schien es fast zu genießen.
»Sie kennt dich nicht einmal.«
»Ah«, sagte er dann. Auch ohne ihn zu sehen, wusste ich, dass er am anderen Ende der Leitung grinste. »Und wie du inzwischen festgestellt hast, heißt mich zu kennen auch mich zu lieben.«
Wegen dieser und vieler anderer Kleinigkeiten, die sie frustrierten, begann meine Mutter neue Regeln zu erfinden.
»Keine Anrufe mehr nach halb elf«, sagte sie eines Morgens, drehte dabei ihren Kaffeebecher in den Händen. »Deine Freunde sollten wirklich etwas mehr Rücksicht nehmen.«
»Ich kann ihnen doch nicht verbieten anzurufen.«
»Sag ihnen, ich nehme dir das Telefon weg, wenn das nicht aufhört«, meinte sie brüsk. »Okay?«
»Okay.« Doch natürlich hörte er nicht auf anzurufen. Meine Hand lag jede Nacht auf dem Telefon; ich konnte nicht mehr einschlafen, jedenfalls nicht, bevor er sich nicht gemeldet hatte. Echt anstrengend. Und das alles nur, um Macon Gute Nacht sagen zu können, egal von wo aus er anrief.
Doch das war nicht das einzige Ärgernis. Wenn Macon wusste, dass ich mich nicht mit ihm treffen konnte, weil ich nicht wegdurfte, fuhr er manchmal nachts an unserem |193| Haus vorbei und hupte oder blieb mit laufendem Motor an dem Stoppschild in Sichtweite meines Fensters stehen. Ich wusste, dass er auf mich wartete, obwohl ich nicht wegkonnte. Und ich wusste auch, dass er das wusste. Trotzdem kam er. Und wartete.
Deshalb lag ich im Bett und lächelte glücklich in mich hinein, weil ich zumindest die Gewissheit hatte, dass er an mich dachte, wenigstens in diesen paar Minuten an mich dachte, bevor er wieder aufs Gaspedal trat und mit Karacho irgendwohin bretterte. Was jedes Mal unweigerlich dazu führte, dass über der Haustür unserer Nachbarn, der Harpers, das Licht anging und Mr Harper, selbst ernannter Wächter unseres Viertels, auf seiner Veranda erschien und erbost auf die Straße starrte. Ich weiß nicht, warum Macon das machte. Er wusste doch, dass ich sowieso schon genug Ärger am Hals hatte und nicht mehr viel Spielraum, bevor meinen strengen Eltern endgültig der Geduldsfaden reißen würde. Aber strenge Eltern kannte er eben nicht, so was kam in seiner Welt nicht vor. Jedes Mal, wenn ich Hupen oder Reifenquietschen hörte, zog sich mein Magen ein wenig zusammen – eine Mischung aus Aufregung und Angst. Und jedes Mal blickte meine Mutter von ihrem Buch, ihrer Zeitung, ihrem Teller auf und sah mich an, als säße ich am Steuer, als gäbe ich zu viel Gas, als würde ich die gesamte Nachbarschaft terrorisieren.
Ich musste mir deshalb immer wieder neue Methoden ausdenken, wo und wie er mich abholte.
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