Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Vollzeit arbeite, kann ich ruhig weiter jobben. Und meine Arbeit mache ich deswegen auch nicht schlechter, Mr Averby.«
»Im Gegenteil, sie ist super«, mischte ich mich ein. »Im August war sie sogar ›Angestellte des Monats‹.«
»Stimmt.« Scarlett grinste mich an. Sie hatte mir vorher gesagt, sie würde auf keinen Fall kündigen, und erst recht nicht, um Mr Averby und
Milton’s Supermarket
die Peinlichkeit einer minderjährigen, schwangeren Kassiererin zu ersparen. Rausschmeißen durfte er sie sowieso nicht, das war gegen das Gesetz. Derlei Infos bekam sie bei ihrer Selbsthilfegruppe für Teenie-Mütter.
»Du bist eine ausgezeichnete Angestellte«, sagte Mr Averby, der nun seinerseits auf seinem Stuhl herumrutschte, |249| als fände auch er keine bequeme Sitzposition mehr. »Ich wusste nur nicht, wie viele Stunden du jetzt arbeiten und ob du deine Arbeitszeit vielleicht ein wenig runterfahren möchtest. Falls das der Fall sein sollte oder du über andere Möglichkeiten nachdenkst –«
Scarlett fiel ihm ins Wort: »Nein, überhaupt nicht. Ich finde alles gut, so wie es ist. Trotzdem, vielen Dank, dass Sie nachgefragt haben.«
Mr Averby wirkte erschöpft. Geschlagen, um genau zu sein, resigniert. »Okay«, meinte er, »das war’s dann, schät ze ich. Danke, dass du gekommen bist, Scarlett. Sag bitte Bescheid, falls irgendwelche Probleme auftauchen sollten.«
»Danke auch«, antwortete sie. Wir standen auf, verließen das Büro, schlossen die Tür hinter uns. Schafften es gerade noch an NUDELN, REIS, FERTIGPRODUKTE vorbei in den nächsten Gang, bevor Scarlett loskicherte und gar nicht mehr aufhören konnte. Vor lauter Lachen musste sie stehen bleiben und sich festhalten.
»Der Arme«, sagte ich. Scarlett stand vornübergebeugt da und gackerte hemmungslos. »Der wusste gar nicht, wie ihm geschah.«
»Nein. Er dachte, ich wäre froh, aufhören zu können.« Sie lehnte sich an ein Regal mit importierten Kaffeesorten und rang keuchend nach Luft. »Aber mir ist es nicht peinlich, Halley. Ich weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Niemand wird mich dazu bringen, das Gegenteil zu denken.«
»Ich weiß auch, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast.« Nicht zum ersten Mal stellte ich mir die Frage, warum man auf so viel Widerstand stößt, wenn man das Richtige tut. Eigentlich hätte man doch annehmen |250| können, es wäre genau andersherum. Doch anscheinend ist es nicht leichter, sondern sogar ein echter Kampf, wenn man einfach nur anständig sein will.
Wie gesagt, es war Dezember. Über Nacht wurde alles grün und rot und Lametta-silbern. Bei der Arbeit wurden mir die Ohren mit Weihnachtsliedern zugedudelt,
Jingle Bells
und noch mal
Jingle Bells
und noch mal und noch mal und . . . ja, verdammt noch mal: Ich wusste immer noch nicht, was ich in puncto Macon machen sollte. Der einzige Grund, warum er mich bisher nicht weiter festgenagelt hatte und ich mich vor der endgültigen Entscheidung noch drücken konnte, war, dass wir uns außerhalb der Schule praktisch kaum sahen. Und Schule war der einzige Ort, an dem ich mir keinen Kopf deswegen zu machen brauchte, ob die Dinge möglicherweise zu schnell zu weit gingen. Ich arbeitete Extraschichten im Supermarkt, weil in der Weihnachtszeit besonders viel los war. Außerdem hielt Scarlett mich schwer auf Trab, denn sie brauchte mich mehr denn je. Ich fuhr sie zu ihren Arztterminen, schob im
Babyparadies
den Einkaufswagen hinter ihr her, während sie die Preise für Kinderbettchen und -wägen verglich, und musste mehr als einmal noch spätabends los, um Schoko-Himbeereiskrem zu kaufen, weil Schoko-Himbeereiskrem gerade dringendst benötigt wurde. Ich saß sogar neben ihr und hielt Händchen, während sie versuchte, an Mrs Sherwood zu schreiben, die ja mittlerweile in Florida lebte. Entwurf nach Entwurf wurde begonnen, zusammengeknüllt, verworfen. Jeder Brief begann mit der Anrede sowie der Zeile
Sie kennen mich nicht, aber.
Der Anfang war leicht. Der Rest schwieriger.
Macon war nur noch auf Achse. Ständig haute er vor |251| Schulschluss ab oder tauchte gar nicht erst auf. Er rief mich zwar oft an, musste jedoch immer schon nach zwei Minuten abrupt auflegen. Zu mir nach Hause konnte er nicht mehr kommen, mich nicht einmal mehr ein paar Straßen weiter absetzen. Zu riskant. Obwohl: Meine Mutter erwähnte ihn kaum noch und war selbst sehr beschäf tigt , sowohl bei der Arbeit als auch damit, Oma Halleys Umzug in ein anderes Heim zu
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