Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
befand mich nicht in den Abwasserkanälen, die so lange die Untergrund-Rennbahnen sämtlicher Kriminellen in Old New York gewesen waren. Das hier war ein neuer Tunnel, der eigens dafür gegraben worden war, um aus dieser ›Bar‹ entkommen zu können. Dabei hatte man auch ziemlich gute Arbeit geleistet – es war hier zwar recht eng, aber die Luft roch trocken, als sei alles ordentlich abgedichtet, und der Steinboden unter meinen Füßen war tatsächlich massiv. Ich hatte mich schon durch Fluchttunnel schlagen müssen, die so instabil gewirkt hatten, als müssten sie einstürzen, falls ich auch nur ein einziges Mal nieste, daher wusste ich es sehr zu schätzen, hier etwas miterleben zu dürfen, bei dem man sich wirklich Mühe gegeben hatte.
Ich versuchte meine Schritte ein wenig zu beschleunigen. Ich ging davon aus, dass ich einen SSD-Officer auf den Fersen hatte, und die System-Bullen waren ganz anders als die Brecher, die sie befehligten – die ließen sich nicht so leicht verängstigen, und sie waren auch nicht blöde. Als ich gerade um die erste Ecke hastete, hörte ich, wie sich die Klappe erneut öffnete, gefolgt von dem dumpfen Aufschlag einer Person, die in die Tiefe sprang. Natürlich würde sich dieser SSD-Officer nicht einfach wie ein Mehlsack herunterfallen lassen und nach dem Aufprall erst einmal ein paar Sekunden lang wieder zu sich kommen müssen. Zweifellos war er gewandt wie eine Katze auf den Füßen gelandet, die Waffe fest im Griff. Mir ging auf die Nerven, wie selbstgefällig-perfekt diese System-Bullen ständig auftraten. Sie schubsten Leute wie mich herum und filzten uns – das wäre ja in Ordnung, wenn sie wenigsten versuchen würden, das Gesetz zu vertreten, aber die SSD-Officers waren wirklich genau so schlimm wie wir. Schlimmer noch: Sie hatten diese Dienstmarke, und hinter ihnen stand ein ordentlicher Etat, und das bedeutete, außer der Abteilung für Innere Angelegenheiten konnte sie niemand aufhalten.
Ich wusste, was mich erwartete, wenn der Kerl mich in die Finger bekäme: eine Kugel im Kopf. Für diese Leute war der Begriff ›ordentliches Gerichtsverfahren bedeutungslos, und das Gleiche galt für ›Rechtsstaatlichkeit‹. Die konnten machen, was immer sie wollten, also machten sie es auch. Die einzige Frage war nun: Würde ich mir noch irgendeine lächerliche Predigt anhören müssen, bevor ich die Kugel bekam, oder bliebe mir wenigstens das erspart?
Ich rannte weiter.
Der Tunnel war natürlich nicht allzu lang. Nach nicht einmal zwanzig Metern, auf denen man sich um unzählige Ecken zwängen musste, blieb ich schließlich stehen – vor einer kahlen Wand aus festem Erdreich. Ich blickte nach oben, und dort, kaum zwei Meter über mir, erkannte ich das unterste Ende einer Leiter, die fest an der Wand montiert war. Ich verkniff mir einen Fluch: früher hatte hier bestimmt noch etwas sehr Praktisches herumgestanden, das es einem erleichtert hatte, diese Leiter zu erreichen – vielleicht ein alter Schemel, oder wenigstens irgendetwas-, aber die Mistkerle, die diese Bar eingerichtet hatten, waren schlau genug gewesen, genau das mitzunehmen, als sie vorhin auf diesem Wege geflohen waren, nur für den Fall, dass doch irgendjemand sie verfolgte. Einen Augenblick stand ich nur dort und hasste diese Mistkerle aus tiefstem Herzen, dann hörte ich hinter mir eine dröhnende Stimme.
»Dir habe ich es zu verdanken, dass ich rennen muss!«, röhrte der System-Bulle. »Dafür reiß ich dir die gottverdammten Nieren raus, du Arschloch!«
Während ich noch darüber nachdachte, dass sich dieser Tag für mich wirklich von Minute zu Minute besser gestaltete, schob ich meine Waffe in eine Tasche, nahm alles zusammen, was ich an Kraft noch übrig hatte, sprang zur Leiter empor -und erreichte die unterste Sprosse mit den Fingerspitzen einer Hand. Mit zusammengebissenen Zähnen stieß ich einen Grunzlaut aus, zog mich so weit empor, dass ich wenigstens auch mit der anderen Hand zugreifen konnte, und versuchte dann, mich Hand über Hand zur nächsten emporzukämpfen. Meine Beine hingen nutzlos in der Luft, und bei jedem Atemzug hörte ich das gequälte Pfeifen meiner Lunge. Meine Arme zitterten schon, doch ich wuchtete mich noch ein wenig weiter empor und schaffte es schließlich, einen Fuß auf die unterste Sprosse zu befördern. Während ich versuchte, die Leiter in vernünftiger Art und Weise emporzusteigen, hörte ich, wie unter mir zwei Kugeln in die Wand einschlugen – genau an der Stelle, an
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