Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
warteten wir auf jemand Bestimmten, den wir dann töten sollten. Na ja, den ich dann töten sollte. Nad war kein Revolverheld. Er war noch nicht mal ein sonderlich guter Krimineller; er war vielleicht der schlechteste Taschendieb, den es jemals gegeben hatte, und im Laufe der Jahre hatten ihn die Bullen so oft eingesackt – und ihm dabei die unvermeidliche Tracht Prügel verpasst-, dass er im Alter allmählich ein wenig verrückt geworden war. Er war ganz besessen von Verschwörungstheorien und erzählte jedem, der nicht schnell genug flüchten konnte, von den finsteren Mächten, die in Wahrheit diese Welt regierten. Für mich war das Leben viel einfacher: Aggressive Arschlöcher mit Dienstmarken regierten diese Welt. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Nad war ziemlich nutzlos, aber irgendwie tat er mir leid. Ich zahlte ihm einen Hungerlohn, damit er für mich den Aufpasser spielen konnte bei diesen Drecksjobs, die ich immer wieder an Land zog: Irgendwelche Kleinkriminelle umlegen, die irgendeine Grenze überschritten hatten oder jemandem zu lange zu viele Yen schuldig geblieben waren. Natürlich war Nad auch als Aufpasser ziemlich nutzlos.
»Das Gehirn kann man nicht digitalisieren«, sprach er nach einer trägen Pause weiter. »Ich meine, das geht natürlich schon, aber dabei kommt bloß Mist heraus. Am Anfang sieht’s immer so aus, als würde es funktionieren, aber wenn man sich richtig damit befasst, dann merkt man, dass es mit Denkprozessen einfach vorbei ist.«
»Hmm.« Ich bemerkte einen Zigarettenstummel, der nur wenige Schritte von mir entfernt auf der Straße lag, nur halb geraucht. Ich fragte mich gerade, wie wohl die Chancen stünden, dass in genau den fünf Sekunden, die ich brauchte, um ihn mir zu holen, meine Zielperson einfach an mir vorbeispazieren würde und ich die nächsten fünf Stunden damit verbringen könnte, immer weiter Nad zuzuhören, während jegliche Aussicht auf ein Abendessen schwand. Ich leckte mir über die Lippen und betrachtete erneut die Leute auf der Straße.
»Also entnehmen die Mönche das Gehirn. Die schneiden einem den Kopf auf, als wäre das eine Scheiß-Konservenbüchse, nehmen das Gehirn raus und stopfen es in einen dieser Mönchs-Körper. Dann verkabeln sie das, mit Tausenden von Verbindungen – die sind so dünn, dass man sie gar nicht sieht. Ein paar von denen sind Datenleitungen, ein paar sind für den Strom, um das Organ zu stimulieren. Dann füllen sie den Kopf mit irgendeiner Nährlösung, um es zu konservieren.
Und: Paff! Schon hat man einen neuen Mönch!«
Ich seufzte. »Nad, das weiß doch jeder. Sieht man doch ständig im Vid.« In letzter Zeit wurden auf den riesigen Zwanzig-Meter-Videoschirmen immer häufiger ›Sonderberichte‹ über die Cyber-Kirche gezeigt. Da erzählten dann Reporter mit makelloser Haut fröhlich, diese Scheiß-Mönche seien mittlerweile überall – nur für den Fall, dass wir es noch nicht bemerkt haben sollten.
»Jau, aber jetzt denk doch mal darüber nach, Ave: Wer meldet sich für diese Scheiße denn freiwillig? Wer geht zu diesen Blechköpfen ’rüber und sagt: Au ja, schneidet mir den Kopf auf und holt mit ’nem Staubsauger mein Gehirn raus! Ist doch Schwachsinn! Diese Mönche machen Jagd auf Leute! Ich kenne da einen Typen …«
Gequält verzog ich das Gesicht. Jede Schwachsinnsgeschichte, die man auf der Straße zu hören bekommt, fängt an mit ›Ich kenne da einen Typen …‹. Das war der international anerkannte Code für: völliger Schwachsinn.
»… Kitlar Muan – den kennst du auch, so’n Shylock aus der Bronx. Oder sagen wir: Den hast du auch gekannt. Vor ein paar Wochen hat der mir erzählt, dass ihm ständig einer dieser Mönche hinterherlaufen würde. Der war immer in seiner Nähe, stand an irgendeiner Mauer oder machte sonst irgendwas, egal wo Kit auch hingegangen ist. Und dann, eines Tages, war Kit einfach verschwunden, und am nächsten Tag taucht er selbst als so ein Scheiß-Mönch auf. Du weißt doch, dass diese Mönche immer durch die Gegend laufen und alle ihre alten Freunde besuchen, um denen zu erzählen, dass sie konvertiert sind? Da stehe ich also, und plötzlich kommt dieser Blechkopf auf mich zu und sagt: ›Guten Morgen, Nad, du kennst mich noch als Kit Muan. Jetzt bin ich Bruder Muan von der Delta- …‹«
Zutiefst gelangweilt ließ ich Nads Geplapper an mir vorbeiplätschern. Wenn Nad behauptete, die Mönche würden irgendwelchen Leuten in den Rücken schießen und ihnen dann den Kopf
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