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Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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zielte nach oben. Als dann nichts geschah, zögerte er nicht länger, sondern sprang wieder auf und stapfte die Treppenstufen hinauf.
    Langsam atmete ich aus und sog die staubige, schimmelige Luft in die Lungen. Die schweren Schritte des Cops wurden stetig leiser, schließlich waren sie überhaupt nicht mehr zu hören. Ich wartete, zählte innerlich bis fünfzig, jederzeit bereit, den Mistkerl doch noch niederzustrecken, falls er die Treppe wieder herunterkommen sollte. Dann ging ich langsam in die Knie und gestattete mir, mit kurzen, lautlosen Zügen wieder zu Atem zu kommen. Mit der freien Hand betastete ich den Fußboden und entdeckte einen recht großen Gesteinsbrocken. Kurz wog ich ihn in der Hand, dann schleuderte ich ihn zur Treppe hinüber. Der Stein traf die dritte Stufe von oben und krachte dann auf die darunterliegende Stufe. Für mich hörte sich das an wie eine Explosion, doch weiter geschah nichts.
    Erneut holte ich tief Luft, meine Brust bebte, so kräftig hatte ich versucht, meine Lungen zu füllen, und allmählich verschwanden die tanzenden Lichtpunkte vor meinen Augen. Einige Sekunden lang atmete ich nur, dann sprang ich auf und hechtete auf das Loch im Boden zu. Ich landete auf dem Rücken, die Waffe in der Hand, und sicherte nach links und rechts. Nichts geschah. Nach und nach legte sich der Staub; das Einzige, was ich hier hörte, war mein eigenes Atmen.
    Ich stand wieder auf und eilte die Treppe hinauf, nahm immer zwei Stufen auf einmal. Ich erreichte ein weiteres eingestürztes Gebäude: Hier gab es nur noch Schutt und verbogene Schwerlastträger, Staub und die Überreste von unzähligen hastig aufgeschlagenen Notlagern. Jenseits der Mauerüberreste konnte ich die Stadt erkennen, und in nur wenigen Häuserblocks Entfernung sah ich die matten Lichter der etwas dichter besiedelten Innenstadt: ein vertrauter Anblick und mein Zuhause – was auch immer das bei mir heißen mochte –, ein Zimmer, das ich ganz für mich alleine hatte. Das war zwar nicht viel, aber wenigstens musste ich mir dieses Zimmer mit niemandem teilen. Andere Zimmer wurden manchmal von fünfzehn Leuten gleichzeitig bewohnt, oder es gab ›Wohnschichten‹ von sechs oder acht Stunden. Mein Zimmer jedoch gehörte ganz alleine mir.
    Ich dachte über die Möglichkeit nach, mein System-Bulle könne sich jetzt selbst in den Schatten verbergen und nur darauf warten, dass ich ins Freie trat. Dann dachte ich darüber nach, wie viel Glück ich bislang gehabt hatte – Glück, das sich gegen Ende sogar noch gesteigert hatte: Der Cop hatte mein Gesicht nicht gesehen. Morgen würde ich auf der Straße einfach an ihm vorbeispazieren können, und er würde mich nicht erkennen. Dieser Gedanke stimmte mich plötzlich sehr optimistisch. Ich schlich zu dem klaffenden Loch in der Wand hinüber, durch das man die dahinterliegende Straße erreichen konnte, und trat dann in das matte Mondlicht hinaus. Einen Moment lang stand ich nur dort, gab ein perfektes Ziel ab, und mich durchzuckte das Gefühl, ein unglaubliches Risiko einzugehen. Ich blickte zu den Lichtern der Schweber hinauf, die wie glänzende Juwelen am Himmel standen, so weit entfernt, dass von ihnen nichts mehr zu hören war und sie fast reglos wirkten, nur langsam, langsam weitertrieben, so wie reiche Leute, die von einem Ort zum nächsten zogen, ohne jemals mit jemandem wie mir zu tun zu bekommen: einem Revolverhelden, staubbedeckt und verkatert. Einem Mann, der längst viel zu alt geworden war.
    Doch dieser sonderbare Optimismus blieb mir erhalten, während ich wieder in den Schatten verschwand und mich auf den Heimweg machte, zu meinen Straßen, in denen ich wusste, wo ich einen Schutzraum finden könnte, und wo ich Verbündete hatte – nicht allzu viele, aber immer noch besser als gar nichts. Ich hatte einfach das Gefühl, Glück zu haben. Ich hatte das Gefühl, irgendwie könne sich alles ändern, und vielleicht würde ich ja nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, mich von Leuten jagen zu lassen, die mich umbringen wollten.

I
     
    Niemand zahlte für
    Schwere Körperverletzung
     
    01110
     
     
    »Als Erstes entfernen sie das Gehirn.«
    Ich hörte Nad gar nicht richtig zu. Eigentlich hörte ich Nad nie richtig zu. Wir standen in einem dunklen Hauseingang auf der Bleeker Street-wirklich nur einem Eingang, einem Rechteck aus uralten Ziegelsteinen, zu beiden Seiten gab es nur noch staubige Trümmer – und schauten zu, wie die grauen Gesichter an uns vorüberzogen. Dabei

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