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Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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einzigen Moment.
    »Mr Muller interessiert mich, mein Freund. Geh weiter«, sagte der Mönch leise. »Mr Muller, gestatten Sie mir, Ihnen einen endlosen Pfad voller Sonnenuntergänge zu zeigen. Gestatten Sie mir, Sie zu retten.«

III
     
    Die halten sich für Götter,
    weil sie Götter sind
     
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    Wir erstarrten. Der Mönch war noch etwa einen halben Häuserblock hinter uns; seine erschreckend-blasse Haut schimmerte im Mondlicht, in seinen Brillengläsern spiegelte sich die Nacht: pure Schwärze. Der Mistkerl lächelte; dumpf glommen seine falschen Zähne im matten Licht, und seine Augen waren nur emotionslose Schatten.
    Nad, der immer noch neben mir stand, zitterte jetzt am ganzen Leib, und seiner Kehle entrang sich ein kaum hörbarer Laut, fast als würde er ersticken. Mein Schädel brummte, mühte sich nach Kräften, den Fusel loszuwerden, mein Herz hämmerte nach diesem plötzlichen Adrenalinstoß – es war gleichermaßen aufgeregt und erschöpft: Das war das Warmlaufprogramm kurz vor einem Kampf. Ich hatte es schon zu oft erlebt, um noch mitzählen zu können.
    »Nein danke«, flüsterte Nad.
    »Ach, Mr Muller«, erwiderte der Mönch, und sein Lächeln wurde noch breiter – dieser Scheiß-Cyborg grinste uns an. »Ich bestehe darauf.«
    Ich baute mich vor Nad auf. Plötzlich fühlte ich mich überhaupt nicht mehr betrunken. »Es tut mir leid, mein Freund«, sagte ich mit eisiger Stimme und mimte mit aller Kraft den ›harten Burschen‹. »Er hat gesagt, er hat kein Interesse.«
    Der Mönch rührte sich nicht, doch plötzlich hatte ich das Gefühl, seine Aufmerksamkeit gelte jetzt nicht mehr Nad, sondern mir. Nach einer Sekunde zuckte sein Schädel ein wenig zur Seite, und der Cyborg sprach nun mich an.
    »Avery Gates«, sagte er und grinste dabei immer noch. »Siebenundzwanzigjahre alt. Die letzten offiziellen Aufzeichnungen des SSD sind acht Jahre alt. Heutzutage sind sie fast schon geheimnisumwittert, Mr Gates. Aber Sie waren die ganze Zeit über fleißig, nicht wahr? Gedungene Morde, Raubzüge, Schmuggelei, Diebstahl in jeglicher nur denkbaren Art und Weise. Vor allem aber doch Auftragsmorde. Oh ja, Sie sind ziemlich berühmt, nicht wahr? Sagen Sie mir«, forderte er mich auf und trat einen Schritt auf mich zu, »glauben Sie, dass Ihnen genügend Zeit bleibt, um für all ihre Sünden um Vergebung zu bitten? Gestatten Sie mir, Sie bis ans Ende der Zeit zu bringen, Mr Gates. Lassen Sie sich von mir reiten.«
    Innerhalb einer einzigen Sekunde hatte sich alles verändert. Gerade eben noch hatte ich meinen alten Freund verteidigt. Jetzt sprach dieser Blechkopf mit mir. Und ich wusste, dass Nad keineswegs in der Verfassung war, irgendjemanden zu verteidigen. Unverwandt starrte ich die Scheiß-Maschine an, die auf der immerwährend feuchten Straße stand, und zu beiden Seiten der Straße erhoben sich die uralten, verfallenden Gebäude, wie die Seitenwände eines Ganyons, jederzeit bereit, einzustürzen und uns zu zermalmen. Das hier war nicht der übliche Tanz: Normalerweise merkte man sofort, dass der andere Kerl genau so viel Angst hatte wie man selbst. Bei diesem Mönch spürte ich das nicht. Von diesem Scheiß-Mönch spürte ich überhaupt nichts, und dieses Vakuum, das dort vor mir stand, diese völlige Leere, empfand ich mit einem Mal als zutiefst beunruhigend.
    Aber das war okay so. Ich war ja schließlich nichtdurch Zufall so berühmt geworden – in gewissen Kreisen zumindest.
    »›Unsterblich‹ bedeutet nicht ›unverwundbar‹, mein Freund«, sagte ich klar und deutlich. »Noch zwei Schritte weiter, und dein eigener Plan zum Erringen der Erlösung wird vielleicht nicht ganz so klappen, wie du dir das vorgestellt hast.«
    Zu den Dingen, die man sehr früh in New York lernte, gehörte zweifellos, niemals schwach zu wirken. Man durfte nie so aussehen, als habe man Angst. Man durfte sich niemals geschlagen geben, niemals eine Niederlage eingestehen. Es war eine Niederlage, wenn man sich dafür entschied, das Leben eines anderen zu verschonen, oder ausnahmsweise mal großzügig zu sein und die Dinge einfach schleifen zu lassen. Vielleicht glaubte einem das Gegenüber nicht die ›Harter-Bursche-Nummer‹, aber sie pflanzte zumindest die Saat des Zweifels in dessen Denken.
    Ich war siebenundzwanzig Jahre alt. Ich war alt. Alle meine Brüder waren tot. Nad und Kev Gatz waren die einzigen Freunde, die mir noch geblieben waren. Die meisten von uns waren gestorben, bevor sie auch nur zwanzig

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