Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
der Kerl, der den Käfer verschluckt hatte, den Kopf und kam weiter auf uns zu.
»Scheiß drauf«, gurgelte er. »Wenn ihr uns hier zurücklasst, bin ich sowieso tot. Dann sind wir alle tot.«
Ich schaute zu, wie Happling kaum merklich die Hand hob. Mir war heiß, und ich fühlte mich klebrig. Ich setzte mich schon in Bewegung, bevor ich mir dessen bewusst war, drängte mich an meiner persönlichen Sturmtrupplerin vorbei, dann durch die spärlichen Reihen von Henses kleiner Armee, streckte die Hand aus, um sie dem Riesen auf die Schulter zu legen und ihn zu mir herumzudrehen.
»Drauf geschissen – in ein paar Stunden sind die entweder tot oder geheilt, Sie verdammter …«
Der riesenhafte Kerl bewegte sich unglaublich schnell. Es war fast, als hätte ich einen kurzen Filmriss gehabt. Gerade eben hatte ich noch hinter ihm gestanden und wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, im nächsten Moment hatte er diese Hand gepackt und verdrehte mir schmerzhaft das Handgelenk – mit unerbittlichem Druck, der mich in die Knie zwang. Mit der anderen Hand holte er gleichzeitig irgendwie seine uralte Automatik hervor, presste sie mir gegen den Hinterkopf und zwang mich so dazu, unverwandt den Straßenasphalt anzublicken. Ich kniff die Augen zusammen, sog die Luft ein – sie kratzte in der Brust und brachte mich dazu, krampfartig zu husten. Seit Jahren hatte mich niemand mehr so leicht außer Gefecht gesetzt.
»Mr Gates«, sagte Happling und klang dabei nicht einmal ansatzweise außer Atem, »kommen Sie mir niemals in die Quere, verdammt!«
Ohrenbetäubendes Shredder-Feuer krachte, während ich zuckend vor Happling kniete. Dabei hustete ich etwas auf den Straßenbelag, was sich verdammt nach einem ganzen Lungenflügel anfühlte. Dann folgte Stille; ich hörte das leise Knistern von Shredder-Mündungen, die wieder abkühlten. Happling ließ mich los und trat einen Schritt zurück. Doch ich blieb weiterhin auf den Knien und starrte den blutigen Schleimklumpen an, den ich gerade ausgespien hatte.
Dann weiß Ken wohl, dass ich hier bin, dachte ich. Und er ist darüber alles andere als glücklich.
XXXI
Tag zehn:
reiche Jungs, die tatsächlich
überlebt hatten
Vor mir drehte sich alles, als ich mich wieder auf die Beine zwang. Ich wischte mir das Kinn ab und stieß mit dem Fuß den blutigen Klumpen an. Ich wusste nicht, was Kev dazu gebracht hatte, es sich anders zu überlegen – mich nicht länger immun sein zu lassen. Aber ich wusste ganz genau, dass nicht mehr viel Zeit war: Sobald die Cops erst einmal begriffen hatten, dass ich für ihr Überleben nicht mehr gebraucht wurde – oder auch nur dazu beitrug, würden sie mich nicht mehr am Leben lassen. Abmachung mit Hense hin oder her. Mit zusammengekniffenen Augen blickte ich zur Sonne empor; meine Wangen schmerzten. Ich beobachtete, wie der Colonel, die Waffe in der Hand, auf die vier Bürger zuging, die jetzt auf der Straße lagen. Sie stieß sie kurz mit der Stiefelspitze an, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich tot waren. Ich beobachtete Hense und kam zu dem Schluss, dass sie unsere Abmachung nicht brechen würde. Vielleicht würde sie sich sogar ernstlich bemühen, sie einzuhalten. Aber Happling, ihr riesenhafter rothaariger Gorilla, würde keine Sekunde lang zögern, und wenn der Captain Hense nicht weiter unterstützte, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich einen bedauerlichen Unfall hätte.
Hense nickte kurz, dann schaute sie zu Happling hinüber und kehrte wieder zu den verstreut dastehenden Sturmtrupplern zurück. Happling, der immer noch neben mir stand, bellte Befehle, und die Sturmtruppen gingen wieder in Formation. Während wir dann die Fifth Avenue weiter hinuntermarschierten – und dabei einfach über die Leichen hinwegstiegen, die wir hinterlassen hatten –, versuchte ich nach Kräften, dieses Kratzen in meiner Brust zu unterdrücken. Es hätte mich beinahe in einen neuerlichen Hustenanfall getrieben, während ich den Blick über den ganzen Häuserblock schweifen ließ, um mir wenigstens einen kleinen Vorteil zu verschaffen.
Ich wusste natürlich, wo wir uns befanden. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass ich schon einmal in dem Gebäude gewesen war, auf das diese unglückseligen Bürger vorhin gedeutet hatten. Alles andere aber brachte keinerlei Erinnerungen zurück. Also betrachtete ich verstohlen das Gebäude an der Straßenecke. Ich erinnerte mich an einen großen Hof, der hinter dem Haupteingang lag, einen kleinen Flecken
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