Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
musste, verzog ich vor Schmerz das Gesicht. Bendix, dessen Augen immer noch verbunden waren und dessen Fesseln die Arme immer noch schmerzhaft hinter dem Rücken verdrehten, stand ruhig und schweigend bei ihnen. Als ich noch einige Schritte von den anderen entfernt war, ließ ein Geräusch zu meiner Rechten uns alle herumwirbeln und in den Kniestand gehen: Das metallische Klicken zahlloser zum Schuss vorbereiteter Gewehre hallte über die Straße. Einen Häuserblock weiter südlich rannte eine kleine Menschentraube über die Eighth Avenue. Als Schatten zeichneten sie sich vor dem Himmel ab. Dann waren sie auch schon hinter der nächsten Straßenecke verschwunden.
Schweigend verharrten wir alle im Kniestand, die Waffen im Anschlag. Nur Bendix stand immer noch aufrecht da, ohne sich zu rühren. Ein höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen.
»Also gut«, sagte Happling, »macht euch mal nicht in die Hose, Kinder! Aufstellen, Waffen überprüfen, D-Neun-Formation einnehmen, und dann geht’s los!«
Ich ließ den Blick in alle Richtungen schweifen, stets wachsam, und suchte nach einem Hinweis darauf, dass sich jemand hier verborgen hielte, dass jemand hinter einer Ecke lauerte, der nur darauf wartete, dass wir uns endlich verzogen. Während ich mich umschaute, kam eine zweite Menschengruppe auf die Kreuzung gestürmt. Im Laufschritt überquerten sie die Straße, dann waren auch sie fort.
»Avery?«, hörte ich hinter mir Hense.
Ich richtete mich auf und hörte meine Gelenke knacken. Wieder knirschte ich mit den Zähnen. Einer potenziellen Bedrohung den Rücken zuzuwenden war reiner Selbstmord – das lernte man schon als Kind. Aber die ganze Stadt war eine einzige Bedrohung, in allen dreihundertsechzig Grad, die sie zu bieten hatte, also war es auch egal. Ich humpelte zu Hense hinüber, nickte ihr zu und ging dann an ihr vorbei. »Das ist meine Stadt«, sagte ich. »Folgen Sie mir!«
Wieder landete ihre Hand auf meiner Schulter, erstaunlich kraftvoll. Sie brachte mich aus dem Gleichgewicht und zwang mich so dazu, stehen zu bleiben und mich zum Colonel herumzudrehen. »Avery«, sagte sie tonlos, »Sie sind der einzige Grund, warum überhaupt noch welche von uns leben. Sie werden nicht wie eine menschliche Zielscheibe vorwegspazieren!«
Ich lächelte. »Ihre Besorgnis ist ja geradezu rührend, Colonel.«
Sie packte mich am Arm und zog mich zu ihren Sturmtrupplern hinüber, von denen die meisten, dessen war ich mir sicher, mir am liebsten selbst sofort eine Kugel durch den Kopf gejagt hätten. »Sie lassen zu, dass wir uns um Sie herum gruppieren, und sobald irgendwo gefeuert wird, ducken Sie sich, klar?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte sie mit Namen ansprechen, aber das Wort blieb mir im Halse stecken. »Hören Sie endlich auf, wie ein Scheiß-Cop zu denken, der irgendeinen Hinterwäldler-VIP zu beschützen hat! Wollen Sie, dass ich hier draufgehe? Dann führen Sie mich ruhig durch die Gegend, umringt von einem Rudel Sturmtruppen! Oder wäre es Ihnen lieber, wenn wir diese Straße hier lebendig runterkämen? Sie haben noch vierzehn Sturmtruppler, dazu Ihren Privatgorilla, Marko und Bendix – und der wird Ihnen den Kopf abreißen, sobald er Sie das nächste Mal sieht. Glauben Sie wirklich, Sie haben diese Situation unter Kontrolle? Ich muss doch einfach nur die ganze Zeit über in Bewegung bleiben!«
Sie blickte zu meiner Beinschiene hinab. »Ah, in Bewegung?«
Ich spannte die Kiefermuskeln an und schluckte heftig. »Gehen wir!« Hinter mir war ein Scharren zu hören, gefolgt von einem leisen Grunzlaut, und ich spürte, wie der Blick des Colonels erst über meine Schulter hinwegzuckte, dann aber wieder fest auf mein Gesicht gerichtet wurde. Ich widerstand der Versuchung herumzuwirbeln und einfach ein ganzes Magazin in die Richtung abzufeuern. Ich war mir sicher, dass dort sowieso nichts sein würde. New York war eine Geisterstadt. Ich war mir ziemlich sicher, dass Kugeln allein nicht mehr reichen würden.
»Also gut«, sagte Hense, »also gut! Aber ich stelle einen Trooper dafür ab, und der wird Ihr Schatten sein, ganz egal was Sie tun!« Sie drehte sich um und betrachtete kurz die Angehörigen ihrer kleinen Einheit. »Sie«, bellte sie dann und deutete auf die rundgesichtige Sturmtrupplerin, die Happling immer ›Dicke‹ nannte. »Hierher!«
Das Mädchen kam zu uns herübergetrottet; ihre Ausrüstung klirrte und klapperte. »Sir?«
Hense blickte mich nicht an. »Sie bewachen Gates. Folgen Sie
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