Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
Vom Netzwerk:
Blut husteten und bröckchenweise ihre Lunge ausspien, drei Tage, in denen die Stadt rings um sie immer weiter auseinanderfiel. Ich saß auf dem letzten noch funktionstüchtigen Hocker im ›Pickering’s‹ und fühlte, wie sich der schwere Staub, den ich beim Hereinkommen aufgewirbelt hatte, wieder auf mich herabsenkte. Er wollte wohl all die Oberflächen wieder zurückerobern, die er mittlerweile als sei alleiniges Eigentum betrachtete.
    Draußen war unablässig das Geplärre von SSD-Lautsprechern zu hören: undeutlich und blechern, die Stimmen von irgendwelchen ranghohen Gestalten, die sich aus unterschiedlichen Richtungen und in unterschiedlicher Entfernung ständig gegenseitig übertönten. In New York wimmelte es nur so vor Cops und Gestalten von der Regierung – hier gab es im Augenblick mehr Bullen und mehr junge Burschen in teuren Anzügen als normale Bürger. Ein paar Leute hatten überlebt, und jeden Tag trafen neue ein, um die Überreste der Stadt zu durchwühlen. Die Stadt war tot. Ich hatte mein ganzes Leben hier verbracht, und ich konnte riechen, wie die Stadt rings um mich zerfiel. Diese Neuankömmlinge waren Maden, die die Stadtjetzt befielen, sich in ihre Eingeweide gruben, sie in etwas gänzlich Neues verwandelten. Ich würde immer noch da sein, aber es würde nicht mehr meine Stadt sein.
    Ich war sechsunddreißig Jahre alt. Ich hatte überhaupt nichts.
    Ich kratzte mir den Bart, den ich zu einem wilden, verfilzten grauschwarzen Etwas hatte wuchern lassen. Dann stand ich auf und stapfte durch die vertraute Bar; mein verletztes Bein war steif und schmerzte höllisch. Vielleicht würde es noch ein wenig heilen und sich eines Tages sogar wieder etwas bewegen lassen, aber tanzen würde ich nie wieder. Auch egal.
    Vor der Tür blieb ich stehen – vor der Tür, an der ich Vorjahren zusammen mit Kev Gatz und Nad Muller gesessen, Picks Gin getrunken und gewaltige Pläne geschmiedet hatte. All diese Kerle waren jetzt nur noch Kompost, und all unsere Pläne begraben unter Staubschichten.
    Irgendwo draußen war eine Explosion zu hören, dann unverständliche Rufe.
    Der SSD und die Regierung gingen sich gegenseitig an die Gurgel. Unterstaatssekretäre behaupteten, den Cops gegenüberweisungsbefugt zu sein, während Dick Marin ihnen sagte, sie könnten sich ihre Weisungsbefugnis in ihre verkniffenen Hintern schieben. Es ging das Gerücht um, die Regierung verwende Yen und Ausrüstung darauf, die lang angekündigte neue Armee aufzustellen, und die System-Bullen würden schon bald noch viel mehr Arger haben. Das konnte ich mir gut vorstellen.
    Die Bullen hingegen machten in der Zwischenzeit Jagd auf jedes arme Schwein, das ihnen eine potenzielle Bedrohung zu sein schien – oder eine nutzbare Ressource. Aus allen Teilen der Welt – Mexico City, Vancouver, Kinshasa – hatte ich Gerüchte gehört, in unfassbarer Menge würden Leute zusammengetrieben und dann erschossen. Die Scheiß-Cops machten einfach weiter und weiter damit, ohne sich an irgendwelche der alten Regeln oder Traditionen zu halten. Es hieß, man könne sie nicht einmal mehr bestechen – nicht, dass Yen überhaupt noch irgendeinen Wert besessen hätten. Die Cops tauchten jetzt immer in Begleitung hoher Tiere auf, von beschissenen Colonels an aufwärts, traten ihren eigenen Leuten in die Eier, machten berühmt-berüchtigte Kriminelle fertig, stellten ganz normale Leute in irgendwelchen Seitengassen an die Wand und erschossen sie am helllichten Tage. Gleichzeitig machten sie auch all den Bürgern zu schaffen, die etwas davon mitbekamen und sich beschwerten. Mittlerweile zerrten die Cops einen nicht einmal mehr irgendwo in die Schatten, bevor sie einen erschossen.
    In Manhattan hatte ich das Gleiche mitbekommen. Ich hatte gehört, man habe Marcel von seinem kleinen Thron gestoßen und ihn trotzdem überleben lassen – es ging das Gerücht, der fette Dreckskerl sei zum ersten Mal seit fünf Jahren auf seinen eigenen Beinen durch die Gegend gelaufen und habe dabei Rotz und Wasser geheult. Gerade letzte Woche hatte ich noch sein kleines Hotel aufgesucht, aus reiner Neugier. Es war eine Leichenhalle gewesen: Die sterblichen Überreste von Marcels gesamtem kleinen Hofstaat lagen dort, die Handgelenke immer noch mit den Kabelbindern gefesselt, die der SSD als Einmal-Handschellen verwendete. Und die Stahlseile der Sturmtruppen lagen auch noch zusammengerollt auf dem Boden – dort, wo die Truppen in das Gebäude eingedrungen waren. Von Marcel war keine

Weitere Kostenlose Bücher