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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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Spur zu finden gewesen. Er war immerhin so fett, dass es bestimmt Wochen dauern würde, bis er gänzlich verwest wäre. Also war an den Gerüchten vielleicht sogar tatsächlich etwas dran.
    Die Zeit lief mir davon, und mir war es völlig egal. Wenn Marcel auf deren Abschussliste stand, dann galt für mich das Gleiche. Ich hatte das Gefühl, selbst wenn man bisher aus irgendeinem Grund darauf verzeichnet hatte – vielleicht wegen dieser alten Abmachung mit Marin, schließlich hatte er ja meine gesamte Akte gelöscht-, gab es doch eine ganze Menge Cops, die nur zu begierig wären, meinen Namen darauf wieder einzutragen. Vor ein paar Wochen hatte ich gesehen, wie Hense aus einem alten Wohnblock auf der Jane Street herausgestürmt war. Ungerührt und wie immer auf Hochglanz poliert stand sie da, das dunkle Haar zu einem engen Knoten frisiert, die Haut perfekt, die Augen hinter einer pechschwarzen Sonnenbrille verborgen. Das ganze Erdgeschoss war explodiert, Flammen schlugen aus den Fenstern, Trümmer wurden umhergeschleudert, und der Colonel stand einfach da, völlig sorglos. Ich hatte mich in einen Hauseingang verdrückt und war durch das Gebäude davongehumpelt, den Kopf gesenkt. Ich blickte mich nicht mehr um.
    Aber ich versteckte mich auch nicht. Im Laufe der Wochen war mein Bein schief zusammengewachsen, und ich hatte die ganze Zeit über Kopfschmerzen. Aber verreckt war ich nicht. Inzwischen konnte ich wieder ganz normal atmen. Innerhalb der letzten Wochen hatte ich mich gezwungen gesehen, vier Menschen zu töten – allesamt Idioten. Zwei von ihnen hatten mich erkannt und wollten unbedingt als diejenigen in die Geschichte eingehen, die Avery Gates erledigt hätten. Das andere waren zwei dämliche Kleinkinder, die mich nicht von irgendwelchen anderen alten Knackern unterscheiden konnten, die mit ein paar wertlosen Yen in der Tasche durch die Straßen torkelten. Ich hatte ihnen eine Lektion erteilt, aber das war völlig automatisch geschehen, rein mechanisch. Wenn jemand eine Waffe auf mich richtet, dann erwidere ich die Geste ganz selbstverständlich. Aber Freude hatte ich daran nicht. Hätte ich Wa Bellings Adresse gekannt, dann hätte ich die beiden ersten Kerle gern an ihn verwiesen – sollten die sich doch da ihren Ruf erarbeiten. Aber Belling war einfach verschwunden. Auch der alte Kerl würde vielleicht nicht ewig leben. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hatte, hatte er sich allerdings noch bester Gesundheit erfreut. Er war der Einzige, den ich liebend gern mit bloßen Händen umgebracht hatte. Sofort. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit.
    Ich starrte meine Hände an. Zwei Finger waren in abnorme Richtungen abgeknickt; in kalten Nächten schmerzten sie.
    Ich wandte mich ab, humpelte hinter die Bar und trat auf dem Weg ein paar kleine Brocken aus der Wand. Dann ging ich in die Hocke und tastete den Fußboden ab. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich den versteckten Schalter fand: Ein kleines Tastfeld tauchte auf, glatt wie Seide. Diese Vollidioten hatten nicht gerade gute Arbeit geleistet, als sie die Bar durchsucht hatten. Es war vermutlich doch etwas schwierig, sich zu konzentrieren, wenn man die ganze Zeit Blut hustete und sich gleichzeitig auch noch eine Million anderer Plünderer vom Hals halten musste.
    Zwei verstaubte Flaschen mit undefinierbaren, trüben Spirituosen begrüßten mich, und dazu zwei schimmernde Handfeuerwaffen – ganz billige Scheißteile, nur für den Notfall. Dazu fand ich ein paar Credit-Dongles und MediChips. Ich tastete danach und fuhr mit einem Finger über die schorfige, eitrige Wunde auf meinem Handrücken. Dort hatte ich mir den Chip herausgeschnitten, durch den die anderen mich hatten orten können. Warum ich das getan hatte, obwohl es mir doch herzlich egal war, ob ich starb oder weiterlebte, wusste ich selbst nicht so genau.
    Ich griff nach einer der Flaschen und ließ mich auf den unratübersäten Boden sinken. Dann hielt ich die Flasche dem schwachen Licht entgegen, das durch das Fenster fiel, und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Flüssigkeit. Sie sah wirklich lebensgefährlich aus, aber ich würde sie natürlich trotzdem trinken. Ich schraubte den Deckel ab, roch an der Flaschenöffnung und erkannte den alten vertrauten Gestank von selbst gebranntem Gin.
    Draußen hörte ich das unverkennbare Geräusch eines Verdrängungsfeldes. Ein Schweber kam. Die Flasche halb angesetzt hielt ich mitten in der Bewegung inne und stellte den Gin dann ab.

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