Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
Sie sofort auf Ihren Posten zurück, sonst mache ich Sie fertig! Sie werden nicht bloß nach Chengara versetzt – Sie werden in Chengara Kantinendienst schieben!«
Die Miene des Lieutenants, der so wirkte, als stehe er kurz davor, einfach das Bewusstsein zu verlieren, veränderte sich kein bisschen. Ich blickte zu seinem Freund hinüber, einem kantig wirkenden jungen Burschen, der mit blutunterlaufenen Augen hasserfüllt zu Hense und Happling hinüberschaute. Auf mich achtete niemand so richtig. Typische System-Bullen -ich war völlig bedeutungslos. Ich war bloß so eine arme Sau von der Straße, die sie irgendwann einfach über den Haufen schießen würden … wenn es ihnen gerade in den Kram passte. Ich versuchte meine Gedanken zu beruhigen, stellte mir Schnee vor: dicke, gelbe Flocken, die lautlos zu Boden fielen, ein Schneegestöber, das nichts und niemand zu durchdringen vermochte.
»Colonel, ich glaube, ich spreche hier für uns alle, jeden einzelnen Cop in diesem Gebäude, wenn ich jetzt sage: Lecken Sie mich doch! Sie haben gegen ein ganzes Dutzend SSD-Vorschriften allein schon damit verstoßen, dass Sie Cates nicht ins System eingetragen haben. Für die Schnüffler sind das Dienstvergehen der Stufe A, Colonel. Dafür kriegen Sie ohnehin schon jede Menge Ärger! Wenn es also irgendjemanden gibt, der sich Sorgen machen sollte, was die Zukunft …«
Ich fühlte mich ganz friedlich und nahm mir reichlich Zeit. Es bedurfte keiner theatralischen oder beeindruckenden Bewegungen: Amateure ergingen sich in diesem unsinnigen Herumspringen oder ließen sich dramatisch fallen, damit es so aussähe, wie die das aus den Vids kannten. Alles reine Zeitverschwendung – dann konnte man bloß schlechter zielen, und das verminderte die eigene Chance, am Leben zu bleiben. In aller Ruhe hob ich die Waffe, richtete sie auf den Lieutenant, krümmte den Abzug durch und ließ in seiner Stirn ein erstaunlich kleines Loch entstehen. Dann bewegte ich den Arm ein wenig zur Seite, nahm den Cop von mir aus gesehen rechts hinter ihm ins Visier und betätigte den Abzug ein zweites Mal.
Fünfunddreißig, dachte ich ohne jeden Stolz. Ich fühlte mich einfach nur dreckig; mein ganzer Körper schmerzte.
Dann sprang mir Happling entgegen und knurrte dabei wie ein wildes Tier. Er schlug mir die Waffe aus der Hand, bevor ich erneut anlegen konnte, und mein Kopf machte schmerzhaft Bekanntschaft mit dem Betonboden. Happlings Faust landete auf meinem Mund. Ein scharfer Schmerz, der mich bis zur Schädeldecke durchzuckte, verriet mir, dass er mir einige Zähne ausgeschlagen haben musste, und wieder donnerte mein Hinterkopf auf den Betonboden. Sofort hatte ich den vertrauten Geschmack meines eigenen Blutes auf der Zunge, und eine Sekunde lang dachte ich bloß: Mach schon! Los, mach doch schon, du unzivilisiertes Tier!
Dann hörte ich Henses Stimme, der es irgendwie gelang, Happlings wortloses Gebrüll zu übertönen.
»Captain!«
Ein einziges Wort, doch Happling erstarrte, die Faust über mir noch zum Schlag erhoben; mein Blut troff von seinen Fingerknöcheln. Sein aufgedunsenes rotes Gesicht schien zu zittern, wie er so drohend über mir kauerte. Ich versuchte Luft in meine Lungenflügel zu saugen, doch stattdessen bekam ich nur Blut. Sofort musste ich krampfartig husten, spie Blut und Rotz in alle Richtungen, während ich mich auf dem Boden wand, und bei jedem einzelnen Husten tanzten winzige rote Pünktchen vor meinen Augen.
»Wenn Sie ihn umbringen, dann bringen Sie uns alle um«, sagte Hense mit völlig ausdrucksloser Stimme. »Und wenn Sie sich selbst unbedingt umbringen wollen, dann kriechen Sie nach da drüben und jagen Sie sich selbst eine Kugel durch den Kopf!«
Happling und ich starrten einander an. Der Cop zitterte am ganzen Leib. Schließlich riss er sich von mir los, rollte sich zur Seite ab und sprang sofort wieder auf die Beine. Er wandte mir den Rücken zu, ließ den Hals lautstark knacken und rollte den Kopf immer wieder hin und her. »Die Scheiß-Waffe behält er nicht!«, erklärte er und stieß dabei jedes Wort einzeln hervor. Ich stellte mir die Hölle vor, den Ort, an dem ich letztendlich landen würde, und sah dort Captain Nathan Happling, der mich bis ans Ende aller Zeit zusammenschlug.
»Drauf geschissen, Arschloch«, gurgelte ich leise. »Du weißt doch immer noch nicht, wo’s hingehen soll.«
Er drehte sich nicht um. »Am Ende«, sagte er, »bringe ich dich doch um.«
Ich wuchtete mich hoch, bis ich mich
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