Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
wollte eine Statistik.
»Du dummes Arschloch«, sagte Happling und wandte sich ab.
Dann ging er an uns vorbei, einfach auf das Flugfeld zu. Der Brecher trat zur Seite, als der deutlich größere Cop sich ihm näherte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, folgten wir dem Roten Riesen auf das Flugfeld und gingen auf einen altersschwachen Schweber zu, der früher einmal silbern gewesen sein musste, jetzt aber nur noch verkohlt-grau wirkte. Es war ein kleines uraltes Modell, aber immerhin auf längere Fahrten ausgelegt, auch über breitere Wassermassen hinweg. Schweigend stieg Happling ein, und wir folgten ihm, einer nach dem anderen.
»Ach verdammt«, murmelte Marko, während Happling und Hense im Cockpit verschwanden. »Mann, riecht das hier scheiße.«
Ich musste dem jungen Burschen mit der empfindlichen Nase recht geben, auch wenn meine eigene Nase – die höchstwahrscheinlich gebrochen war – im Augenblick keine allzu gute Arbeit leistete. Aber immerhin gab es in diesem Schweber Sitze, ein echter Luxus, und so ließ ich mich mit einem gequälten Grunzlaut in die Polster sinken. Wirklich gar nichts schien mehr richtig zu funktionieren. Es fühlte sich an, als seien meine Knochen an einer Million Stellen schon angebrochen und warteten nur darauf, irgendwann ganz den Geist aufzugeben.
Meine Gastgeber verschwendeten keine Zeit mehr. Die Luke schloss sich, in der Kabine wurde Druck aufgebaut, und dann war, ein wenig gedämpft, von draußen das Tosen der Verdränger zu hören. Schlingernd hoben wir ab. Ich drehte den Kopf zur Seite, um aus dem kleinen Fenster neben meinem Sitz schauen zu können. Ich sah die beiden Brecher, die immer noch wie betäubt dastanden. Ich wusste, dass sie sich gerade (ragten, vor wem sie mehr Angst haben sollten: vor Dick Marin, den sie sich als einzelnen Mann vorstellten, in irgendeinem Büro weit entfernt, oder vor diesen verrückt gewordenen Cops, die unmittelbar vor ihnen gestanden hatten – und die sie mühelos hätten anfassen können.
»Mr Gates?« Henses Stimme hallte durch die Kabine. »Wohin fliegen wir?«
Einen winzigen Moment zögerte ich. Doch es gab keinerlei Spielraum mehr, dieses Geheimnis weiter für mich zu behalten. »Paris«, antwortete ich. »Es gibt ein Funkfeuer. In meinen Nanobots, oder irgendso ’n Scheiß.«
Während wir höher und höher aufstiegen, hörte ich, wie Marko düster vor sich hinmurmelte. Errichtete sich hier schon häuslich ein, holte eine schier endlose Menge verschiedenster Geräte aus seiner Tasche und stellte sie unordentlich rings um seinen Sitz auf. Ich blickte weiterhin aus dem Fenster, schaute auf die Stadt hinab, die sich unter uns in alle Richtungen erstreckte. Jetzt überquerten wir gerade Downtown, und statt der menschenleeren Ruhe, die wir gerade hinter uns gelassen hatten, gab es dort eine Unzahl von Leuten, jede Menge Rauch und weitere SSD-Schweber. Aus den meisten dieser Fahrzeuge hingen silbrig glänzende Stahlseile, also wurden gerade Sturmtruppen zum Einsatz gebracht. Ganz Downtown hatte sich einen Dreck um die Ausgangssperre geschert, und ganz Downtown würde gewiss nicht einfach nur tatenlos herumsitzen, während ringsherum einer nach dem anderen an einer geheimnisvollen Krankheit verreckte.
Ich fragte mich, ob es bald noch jemanden geben würde, den ich würde retten können – vorausgesetzt, diese Möglichkeit stünde mir überhaupt noch offen.
XVII
Tag sieben:
der die Welt um uns gefrieren ließ
Innerlich entspannte ich mich ein wenig. Nach etwa einer Stunde, in der die Welt mit unglaublicher Geschwindigkeit an uns vorbeigezogen war, herrschte schließlich Ruhe und Frieden, und ich hatte die Möglichkeit, endlich jeden einzelnen Schmerz und jede einzelne Wunde zu begutachten, die ich mir zugezogen hatte. Mit der Zunge drückte ich gegen halb ausgeschlagene Zähne, mit den Fingern presste ich aufgebrochene Rippen, und ich versuchte sogar, meine zusammengeschwollenen Augenlider auseinanderzuziehen. Die matt beleuchtete Kabine, in der ein unablässiges Summen zu hören war, fühlte sich an wie echte Privatsphäre, und ich war so müde, dass ich beinahe eingedöst wäre. Dann fluchte Marko leise, ließ eines seiner Werkzeuge auf den Kabinenboden fallen, und ich schreckte ruckartig auf. Schmerzen durchzuckten meinen Rücken, und ich verfluchte mich dafür, wie ein Grünschnabel eingeschlafen zu sein.
»Sie sind also wirklich Avery Gates, häh?«
Ich blickte zu dem jungen Burschen hinüber. Er hatte eine ganze
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