Sommer der Entscheidung
die Veranda zurück, um von Helen das Ende der Geschichte zu hören. Aus der Dämmerung war Nacht geworden, und das Fläschchen mit dem Insektenschutz hatte die Runde gemacht wie der Wein beim Abendmahl. Jetzt war die Hochzeitsgeschichte zu Ende.
„Du bist also in jener Nacht in dieser alten Hütte entstanden“, schloss Helen. „Dein Daddy fuhr noch am nächsten Tag im Morgengrauen mit dem Zug nach Ohio und von dort aus nach Kalifornien. Danach schrieb er mir, sooft er konnte, obwohl sie häufig draußen auf See waren. Ich konnte ihn nicht erreichen, als Mama einen Monat später starb. Aber sie hätten ihn sowieso nicht zur Beerdigung kommen lassen, weil er immer noch in der Ausbildung war. Die Trauerfeier fand in der Kirche statt, aber begraben ist sie hier hinter dem Hügel, so, wie sie sich es gewünscht hatte.“
„Wie schön, dass sie deine Hochzeit miterleben konnte“, sagte Tessa.
„Und dass sie nicht miterleben musste, was hinterher passierte.“ Helen starrte in die Ferne. „Obed und Dorothy zogen hier ein, nachdem Mama begraben worden war. Dorothy half mir, den Hof zu bewirtschaften. Damals wusste ich schon, dass ich schwanger war, und es machte vieles einfacher, dass sie da war. Daddy war ohne Mama völlig verloren, aber er versuchte, einfach weiterzumachen wie bisher.“ Ihre Stimme wurde sanfter. „Ich hatte die Oberdecke für den Hochzeits-Quilt fertig, aber dann legte ich sie beiseite, um den Quilt fertig zu stellen, wenn ich über Mamas Tod hinweggekommen war.“
„Und dann kam Pearl Harbor“, sagte Nancy. Den Rest der Geschichte kannten alle drei.
Helen wandte sich an Nancy. „Dein Daddy war so glücklich, als ich ihm sagte, dass wir ein Baby haben würden. Er war auch glücklich bei der Marine. Es machte ihn froh, so viele neue Länder sehen zu können. Damals war er schon Funker, er machte schnell Karriere. Vielleicht hatte er keine gute Schulbildung, aber er war so schlau wie ein Fuchs; das haben die Leute von der Navy gleich begriffen. Ich habe Post aus Honolulu bekommen, und er hat mir alles genau beschrieben. Er wollte, dass ich ihn dort besuche, nur für eine Woche oder zwei. Aber wir hatten natürlich kein Geld, außerdem war ich hochschwanger mit dir, Nancy. Also konnte ich natürlich nicht nach Hawaii fahren. Aber dein Daddy versprach, alles zu versuchen, damit er freibekam und hierherreisen konnte. Er wollte heimkommen, um dich zu sehen …“
Helen schwieg.
Lafayette „Fate“ Henry starb, als am 7. Dezember 1941 die ersten Bomben fielen. Als Nancy noch klein war, wurde ihr gesagt, er habe sehr viel Glück gehabt, weil er sofort tot war. Er musste nicht im brennenden Wasser oder im sinkenden Wrack gefangen um sein Leben kämpfen. Jetzt aber fragte sie sich, ob das wirklich stimmte, doch eigentlich wollte sie es auch nicht wissen, falls es nicht der Wahrheit entsprach.
„Danach habe ich den Quilt für immer auf den Boden gebracht“, sagte Helen schließlich. „Wie hätte ich ihn fertig nähen sollen? Es war mein Hochzeits-Quilt, und mein Mann war tot.“
„Zwei Wochen später wurde ich geboren.“ Nancy konnte sich nicht vorstellen, wie ihre Mutter sich gefühlt haben mochte, als sie einer Tochter das Leben schenkte, die ihren Vater nie sehen würde.
„Obed und Tom warteten nicht darauf, eingezogen zuwerden, obwohl sie zurückgestellt worden wären, wenigstens für einige Zeit. Damals wurden Farmer vom Dienst befreit, weil das Land ja trotzdem Nahrungsmittel brauchte, nicht wahr? Aber nein, sie mussten ja los und kämpfen. Und ich wollte auch, dass sie in den Krieg ziehen, wisst ihr? Ich wollte, dass sie die Leute umbrachten, die meinen Fate getötet hatten. Nur, dass auch sie sterben mussten. Beide. Tom starb in Guam 1944, Obed in Italien ein Jahr früher. Dorothy bekam eine Stelle in Quantico in einer Fabrik, in der F4U Jagdbomber hergestellt wurden. Danach haben wir sie kaum noch zu Gesicht bekommen. Als der Krieg zu Ende war, heiratete sie einen Marineoffizier, mit dem sie zusammengearbeitet hatte, und zog in den Norden.“
„Und dein Dad?“, wollte Tessa wissen.
„Hat sich zu Tode geschuftet und den Rest seines Lebens getrauert. Es gab hier einfach keine Arbeitskräfte, die hätten aushelfen können. Die jungen Männer waren alle fort, und die Frauen waren alle nach Washington gegangen, um Verwaltungsjobs zu übernehmen, oder sie arbeiteten in Rüstungsfabriken. Daddy hielt es für seine Pflicht, so viel Getreide zu ernten, wie es nur ging. Ich half
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