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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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kamen so viele Menschen, dass sie draußen im Flur und im Esszimmer standen. Und einige standen sogar vor der Tür.“
    Helen starrte ins Leere, das Tageslicht schwand langsam. „Jeder brachte etwas zu essen mit. Es gab die leckersten Gerichte. Mama musste weinen, Tante Mavis auch. Nachdem der Pastor mit der Predigt fertig war, haben die anderen die Stühle wieder herausgetragen, und die Männer holten ihre Instrumente. Wir hatten eine vollständige Band mit Saiteninstrumenten. Die Musik, das Singen und Erzählen ging bis in die Nacht, bis die Gäste sich daran erinnerten, dass sie ja am nächsten Tag arbeiten mussten.“
    „Sind du und Fate – Dad – nachts hiergeblieben?“
    Helen sah ihre Tochter kurz an. „Zu viel Krach. Nein, Obed und Dorothy überließen uns ihre kleine Hütte, drüben, bei Dorothys Eltern. Die Hütte gibt es nicht mehr. Jetzt steht dort ein riesiger Hühnerstall. Früher war es auch nicht groß, aber es war ruhig, und wir konnten dort allein sein.“
    „Das war die einzige Nacht, in der ihr allein wart?“, fragte Tessa.
    Es überraschte Helen, aber ihre Enkelin schien genauso interessiert wie Nancy. Tessa hatte vergessen, die übliche Distanz zu wahren. Helen empfand das als ein weiteres gutes Zeichen.
    „Na, wir waren nicht ganz allein“, fügte sie hinzu. Sie schielte zu Nancy und Tessa hinüber, die fragend guckten. Am liebsten hätte Helen laut losgelacht. Es hatte so lange gedauert,bis sie selbst über diese Geschichte lachen konnte.
    „Ihr wollt schon, dass ich es euch erzähle, nicht wahr?“, fragte sie.
    „Schon …“ Nancy klang nicht überzeugend. „Es sei denn, es ist zu persönlich.“
    „Zur Hölle damit“, sagte Tessa. „Wenn wir jetzt schon beim Thema sind. Ich will alles wissen.“
    „Was ist eigentlich mit dem Reis?“, fragte Helen. „Sogar brauner Reis wird irgendwann gar, oder?“
    „Gut, verschieben wir das also bis nach dem Abendessen, ich gehe jetzt die Reispfanne machen“, sagte Tessa.
    Sie verschwand im Haus. Helen sah ihre Tochter an.
    „Fate behielt seine Gedanken immer für sich, genauso wie es deine Tochter macht. Und wenn er jemanden liebte, liebte er diese Person mit seinem ganzen Herzen. In dieser Hinsicht ist Tessa wie er. Sie ist ihm sehr ähnlich. Ich wusste es schon, als sie geboren wurde.“
    Nancy schüttelte langsam den Kopf. „Das hast du noch nie angedeutet. Dachtest du nicht, es würde mich interessieren?“
    Helen streckte den Arm aus, um die Hand ihrer Tochter zu berühren. Nur ganz kurz. „Bisher hatte ich nicht das Bedürfnis, es dir zu erzählen.“
    Fate und Helen stahlen sich von der Musik, dem Tanz und den schreienden Kindern davon. Obed hatte Fate die Schlüssel zu seinem Wagen, einem alten Model T, gegeben, und zum ersten Mal sprang er ohne zu murren an. Als sie eine Meile vom Haus entfernt waren, war es beiden leichter ums Herz. Die einzige Person, von der sie sich verabschiedet hatten, war Delilah.
    „Sie sah so glücklich aus“, sagte Helen. „Sie strahlte förmlich von innen. Sieht sie schlechter aus? Ich meine, seitdem du sie das letzte Mal gesehen hast?“
    Fate schwieg lange. „Helen, du musst jeden Augenblick, den du noch mit ihr zusammen hast, genießen. Aber auch wenn sie schon morgen früh von uns geht, vielleicht schon heute Nacht, es hat ihr so viel bedeutet. Jetzt wird sie glücklich sterben.“
    Helen wusste, dass das Fates Art war, sie mit der Wahrheit zu konfrontieren. Vorsichtig, sanft. Er war schon immer rücksichtsvoll gewesen.
    Sie sprachen nicht mehr, bis sie fast bei der Hütte angekommen waren. Sie wusste, dass sie den Wagen stehen lassen und den restlichen Weg den Hügel hinauf zu Fuß zurücklegen mussten. Schon die Straße zur Farm war in einem erbärmlichen Zustand. Beide hatten eine Tasche mit dem Nötigsten dabei. Nachdem ihr Fate beim Aussteigen geholfen hatte, nahm er die beiden Taschen in eine Hand und hielt ihr die andere hin. So gingen sie auf dem ausgetretenen Pfad den grünen Hügel im Mondschein hinauf.
    Es war eine kühle Nacht, und Helen fröstelte. Dorothy hatte sie gewarnt, dass es in der Hütte immer kalt sei. Bevor sie und Obed sich auf den Weg zur Hochzeit machten, hatten sie noch einmal ein Feuer im Ofen angezündet, aber das wäre sicherlich zu der Zeit ausgebrannt, wenn Helen und Fate ankommen würden. Mit Glück seien dort noch einige Briketts, mit denen sie den Ofen noch einmal anheizen könnten.
    Fate führte ihre Hand an seine Lippen und küsste sie, und sofort

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