Sommer der Entscheidung
das du keine Kontrolle hast. Du trauerst, aber du bereust es nicht. Deine Großmutter bereut, dass sie sich so in sich selbst zurückgezogen hat. Und es ist ein gutes Zeichen, dass sie sich jetzt, am Ende ihres Lebens, öffnen kann. Auch wenn sie sich zuvor niemandem anvertraut hat.“
Tessa war an weiteren Erkenntnissen ihrer Mutter nicht interessiert. Und ihre eigenen Gedanken wollte sie ihr nicht mitteilen. Sie erhob sich. „Ich gehe schlafen. Es war ein anstrengenderAbend.“
Überraschenderweise versuchte Nancy nicht, sie zum Bleiben zu bewegen, und sie sah auch nicht verletzt aus.
„Schlaf gut, Schatz. Die Geister in diesem Haus sind gut. Es sind die besten, die ich kenne. Sie werden dich beschützen.“
Dieses E-Book wurde von "Lehmanns Media GmbH" generiert. ©2012
17. KAPITEL
T essa traf sich jeden Monat mit drei anderen freiwilligen Mitarbeiterinnen von Mütter gegen Alkohol am Steuer in Tyson’s Corner Galleria zum Abendessen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, die Verabredungen in den Sommerferien abzusagen, aber plötzlich fand sie sich doch am letzten Julitag am frühen Abend bei Maggiano’s wieder und wartete auf ihre Freundinnen. Jody, eine große, hohlwangige Frau, die so energiegeladen wie nervös war, kam kurz nach ihr an. Danach kam Diana, eine zierliche Rothaarige in ihren Vierzigern, und schließlich vervollständigte Gayle, die Älteste von ihnen, die Runde.
Bis sie sich an ihren Tisch in dem lauten Restaurant gesetzt hatten, sprachen sie nicht viel. Dann aber fingen alle gleichzeitig zu reden an und erzählten sich, was sie den Sommer über so trieben.
„Du bist so still, Tessa“, stellte Gayle fest. „Du hast nicht viel erzählt, außer dass ihr mit dem Haus deiner Großmutter vorankommt.“
„Ich habe schlechte Neuigkeiten“, sagte Tessa schließlich.
Die anderen am Tisch schwiegen, obwohl der Geräuschpegel in dem Restaurant zu steigen schien. Am Nebentisch wurde offensichtlich ein Geburtstag in einer großen Gruppe gefeiert, es gab hin und wieder schrille Pfiffe und Fußgetrampel.
„Magst du uns davon erzählen?“, fragte Gayle, als Tessa wieder schwieg.
„Robert Owens wurde auf Bewährung entlassen. Ein ganzes Jahr bevor er seine Haftstrafe abgesessen hat. Er lebt jetzt bei seiner Mutter in Manassas.“
Keine der Damen musste nachfragen, wer Robert Owens war. Diana sprach als Erste. „Wie ist das passiert?“
Tessa erzählte ihnen die Geschichte. „Mack sagt, wir müssen ihm die Chance geben, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern“, schloss sie.
Jody schnaufte verächtlich. „Das Tragische ist, dass Mack an jedem noch eine gute Seite findet.“
Diana legte ihre Hand auf Tessas und drückte sie. „Wenigstens ist er dann nicht in der Nähe. Du wirst Owens nicht im Supermarkt oder in der Reinigung begegnen.“
„Aus den Augen, aus dem Sinn?“, fragte Tessa.
„Nein, aber ein paar Jahre, nachdem Jerry getötet wurde, habe ich das Arschloch, das ihn überfahren hatte, gesehen, als er seine kleine Tochter von der Schule abholte. Er war schon vor Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden, und niemand hatte mir Bescheid gesagt.“
„Ich wünschte, ich hätte etwas tun können, nachdem mein Neffe angefahren wurde“, sagte Gayle. „Alle waren einfach froh, dass Alex nicht tot war. Sie haben nicht gesehen, wie es war, als es Monate dauerte, bis er in der Rehabilitation wieder laufen lernte. Wie viel es ihn kostete, wieder eine Gabel zu halten, feste Nahrung zu kauen.“
Tessa kannte all ihre Geschichten schon, aber einige Dinge mussten immer wieder erzählt werden. Sie wusste, dass die anderen Frauen nur versuchten, sie zu trösten. Sie wollten, dass Tessa wusste, dass die anderen ihr Leid nachvollziehen konnten.
„Er wird noch jemanden töten“, sagte Tessa. „Ich bin mir sicher. Er weiß, was er wem zu welcher Zeit zu sagen hat, damit er davonkommt. Das ist bestimmt auch der Grund, warum sie ihn frühzeitig aus St. Bride’s entlassen haben. Ich war ja bei der Verhandlung dabei. Er bezirzte die Jury, als wäre er ein Engel, der Harfe spielt und nichts Böses im Sinn hat. Er wird nach ein oder zwei Wochen wieder trinken und dann auch fahren, wenn er es nicht schongetan hat. Er wird herausfinden, wie überlastet seine Bewährungshelferin ist, wie wenig Geld sie für ihre Arbeit zur Verfügung hat, wie wenig Zeit sie für ihn haben wird. Er wird das ganze System austricksen, und er wird das Glück auf seiner Seite haben.“
„Und was willst du
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