Sommer der Entscheidung
hinbekommen.“
„Kennst du sie? Was macht sie hier?“
„Ich tratsche nicht mit meinen Nachbarn. Das habe ich noch nie gemacht und werde es auch nicht tun.“
„Vielleicht nicht, aber wenigstens hast du sie früher noch gelegentlich besucht. Du bist rausgegangen.“
Helen seufzte. Es klang nicht wie Kritik, aber es hätte welche sein können. „Ich nehme an, ich bin ausgegangen, oder?“
„Ich verstehe, wie so etwas passiert, weißt du. Manchmal muss ich mich auch zwingen, das Haus zu verlassen.“
„Du? Erwartest du von mir, dass ich dir das glaube?“
Tessa kam herein. Sie trug ein Tablett mit drei Gläsern, die randvoll mit Eis und Limonade waren. „Was sollst du glauben?“
„Dass ich manchmal einfach nur gern zu Hause bleiben und allein sein würde, lieber, als hinaus unter Leute zu gehen“, sagte Nancy.
„Erzählen wir heute Abend wahre Geschichten, um uns zu amüsieren?“, fragte Tessa leichtherzig. „Das wusste ich nicht.“
Nancy zog eine Grimasse. „Keine von euch beiden kennt mich, nicht so, wie ihr denkt.“
„Wer sollte dich besser kennen als wir?“ Helen nahm sich ein Glas und grummelte ein „Dankeschön“.
„Gram, über was für einen Quilt sprach Cissy vorhin?“, bohrte Tessa nach. „Sie war sehr beeindruckt davon.“
„Tu nicht länger so, als würde dich das tatsächlich interessieren. Du warst nie auch nur eine Spur neugierig, was meine Quilts angeht.“
Tessa machte es sich auf einem Lehnstuhl bequem, in dem schon Helens Großmutter gesessen hatte. „Na ja, ich habe bisher noch nicht so viele gesehen. Nur die, die du mir geschenkt hast und die, an denen du gearbeitet hast, wenn wir dich besuchen kamen. Wo sind die ganzen anderen, die du gemacht hast?“
„Verstaut. Einige sind hier und dort gelandet.“
Nancy stellte ihre Limonade ab und nahm sich eine Zeitschrift von dem Stapel, der aus den letzten Ausgaben bestand, und fächelte sich damit Luft zu. „Deine Großmutter machte früher für jedes neue Baby aus der Kirchengemeinde einen Quilt, sogar, wenn die Eltern erst neu zugezogen waren. Und wenn das Haus von jemandem überschwemmt oder ausgebrannt war, war Mama sofort mit ihren Quilts zur Stelle.“
„Über welchen Quilt hat Cissy gesprochen?“, fragteTessa. „Zeigst du ihn uns?“
„Was sollte das bringen? So, wie ich euch kenne, werdet ihr ihn nehmen und auf den Pferdeanhänger werfen, genau wie alle anderen Sachen.“
„Mom“, sagte Nancy. „Das stimmt einfach nicht, und das weißt du auch.“
Helen war so lange nicht mehr „Mom“ genannt worden, dass sie sich nicht mal daran erinnern konnte, wann das letzte Mal gewesen war. Nancy begann, sie „Mutter“ zu nennen, als sie sich entschlossen hatte, Toms Brook zu verlassen und alles zu vergessen, was sie an das Dorf erinnerte. Helen war erstaunt zu merken, wie sehr sie es vermisst hatte.
Nancy stand auf. „Sag mir, wo er ist, und ich hole ihn.“
„Nur wenn du mir versprichst, sonst nichts in meinem Zimmer anzurühren.“
„Ich verspreche es.“ Nancy bekreuzigte sich.
„Okay?“
„In der Kiste am Fußende des Betts. Er liegt obenauf.“
Helen nippte an ihrer Limonade, während sie und Tessa darauf warteten, dass Nancy zurückkam. Als sie das Wohnzimmer wieder betrat, hatte sie verschiedene Quilts mitgebracht.
„Ich dachte, ich geb mal ein bisschen damit an“, erklärte Nancy. „Tessa muss sich die einfach ansehen.“
Die Nacht war zu heiß, um sich zu streiten. Helen murmelte nur etwas Unverständliches, um zu zeigen, dass sie darüber nicht sehr glücklich war.
„Schau dir erst einmal diesen an!“ Nancy faltete Helens neuesten North-Carolina-Lily-Quilt auseinander. Helen hatte wahrscheinlich in ihrem Leben schon über ein halbes Dutzend Decken mit diesem Muster genäht. Meistens waren es Rot- und Grüntöne auf weißem Hintergrund. Dieses Mal jedoch war sie von dem traditionellen Muster abgewichenund hatte die Lilien aus Stoff mit kräftigeren Rosa- und Lilatönen auf schwarzem Hintergrund genäht.
„Wow“, rief Tessa aus. „Der ist bildhübsch.“
Helen sah ihrer Enkelin zu, wie sie aufstand, um die Decke näher zu betrachten. Sie nahm einen Zipfel in die Hand, damit sie die Stiche besser sehen konnte.
„Ja, nicht wahr? Mama, wann hast du angefangen, mit solchen Farben zu experimentieren?“, fragte Nancy.
„Als ich es satthatte, immer das Gleiche auf die gleiche Art und Weise zu machen.“
„Deine alte Art war auch schön, aber das hier ist wirklich
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