Sommer der Entscheidung
sein Gesicht noch ein wenig intellektueller aussah.
„Auf wie vielen Müllhalden ist sie gewesen?“ Er deutete mit dem Daumen hinter sich auf den Pferdeanhänger, als habe er geraten, welchen Zweck er erfüllte.
„Ich glaube, sie hat herausgefunden, wo sich im Umkreis von fünfundzwanzig Meilen die vielversprechendsten Müllberge befinden.“
„Das hört sich nicht gut an, Tessa.“
Sie versuchte, ihre Arme nicht über der Brust zu verschränken, obwohl sie es gern getan hätte. „Sie ist tapferer, als ich gedacht habe. Bis jetzt hat sie nichts zurück ins Haus geschleppt. Sie würde es nie zugeben, aber ich glaube, sie ist dankbar, dass wir hier sind.“
„Und deine Mutter?“
Tessa zuckte fast unsichtbar mit den Schultern. „Sie managt ihre sozialen Verpflichtungen in Richmond von hier aus per Telefon. Zwischen den Gesprächen arbeitet sie viel im Haus.“
Mack verschränkte seine Arme und lehnte sich gegen einen Pfosten. „Und das dritte Mitglied des Haushalts?“
„Müde, verschwitzt, die meiste Zeit unausgeglichen. Aber es freut mich zu sehen, dass wir etwas schaffen.“ Sie fragte sich, ob er nun wieder gehen würde, da die wesentlichen Fragen beantwortet waren. Aber er rührte sich nicht.
„Als ich den schönsten Teil der Strecke herfuhr, war die Sonne schon untergegangen. Wie sieht es unten im Tal aus?“
Obgleich sie im nördlichen Teil des Shenandoah Valley waren, waren sie „unten im Tal“, weil der Shenandoah nach Norden floss. Die Geografie und Geschichte der Gegend hatte schon immer eine Faszination auf Mack ausgeübt.
„Die Dürre hat viel von der Ernte vernichtet“, sagte Tessa.„Der Fluss hat kaum noch Wasser. Du kannst ihn vom Hügel aus fast nicht mehr sehen. Vom Teich ist nur noch ein Drittel übrig, höchstens. Wenn wir nicht bald Regen bekommen, wird er ganz austrocknen, fürchte ich.“
Er pfiff leise durch die Zähne. „So trocken habe ich ihn noch nie gesehen.“ Er zögerte. „Wollen wir ihn uns ansehen?“
„Jetzt?“
„Warum nicht? Ich muss meine Beine ein wenig vertreten, bevor ich wieder zurückfahre.“
„Wenn es dir lieber ist, kannst du hierbleiben und morgen früh fahren.“ Das Angebot von ihr kam etwas zu spät. Dass Mack über Nacht bleiben könnte, war ihr zuvor nicht eingefallen. Es war ein weiteres Zeichen für die Distanz, die zwischen ihnen lag.
„Nein, ich gehe gerade unter in Arbeit, und ich habe morgen früh eine Besprechung.“
Tessa bemerkte, dass sie ihn gar nicht gefragt hatte, wie es ihm ging.
„Läuft die Arbeit gut? Ich erinnere mich, dass du eine wichtige Verhandlung auf dem Terminplan stehen hattest.“
„Nein, erst einmal nicht. Aber James hatte diese Woche seinen ersten Gerichtstermin.“
James, derselbe James Bates, der sie beide damals ihre ersten Jobs in Richmond gekostet hatte, war seit einem Jahr Anwalt in Macks Kanzlei in Washington, D.C. Nachdem Mack sein Verfahren gegen die Schulverwaltung verloren hatte, besorgte Tessas Vater dem jungen Mann einen Platz in einer kleinen Privatschule. Seine Noten waren gut genug gewesen, dass er ein Stipendium an der Virginia Commonwealth University in Richmond bekam. Als er sein Studium beendet hatte, waren seine Noten wiederum so gut, dass ihm die finanzielle Unterstützung bewilligt wurde, um die Juristische Fakultät der UVA zu besuchen. Wie es schien, warJames nun ein willkommener Neuzugang in Macks kleiner Kanzlei.
„Ich habe heute schon an ihn gedacht“, gestand Tessa. „Wie ist es für ihn gelaufen?“
„Er konnte sich nicht durchsetzen, als es darum ging, die Klage gegen den Klienten fallen zu lassen, aber er hat trotzdem an einigen Stellen Punkte gesammelt. Auf jeden Fall hat er sich Mühe gegeben.“
„Das wette ich.“
Mack löste sich von dem Pfosten. „Wie sieht es aus mit dem Spaziergang?“
Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie gemeinsam am Teich spazieren gegangen waren, und wollte sich schon fast eine Ausrede einfallen lassen, als er weitersprach: „Ich möchte mit dir reden, Tessa, und die Veranda wäre der falsche Ort.“
Jetzt konnte sie schlecht Nein sagen, also folgte sie ihm, als er die Stufen hinunterstieg.
Als sie unter dem Dach der Veranda hervorkam, konnte sie die blasse Sichel des abnehmenden Mondes am klaren Abendhimmel sehen. Keine einzige Wolke oder die Reflexion von Lichtern aus der Stadt lenkten von den Sternen ab – die Milchstraße war einfach spektakulär.
Mack wartete, bis sie ihn auf dem ausgetretenen Pfad eingeholt
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