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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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hatte. Es wehte eine leichte Brise, und Blumenduft – vielleicht von den blühenden Trompetenlilien an der Auffahrt – würzte die Luft. Er nahm sie nicht beim Arm, aber er ging dicht neben ihr her, als habe er Angst, sie könne in der Dunkelheit stolpern.
    „Ich erinnere mich auch noch daran, als wir das letzte Mal gemeinsam am Teich waren“, sagte er, als hätte sie ihre Bedenken laut ausgesprochen. „Kayley ist hier überall. Auf dem Hügel, wo wir gemeinsam einen Drachen stiegen ließenim Sommer, bevor sie starb, die alte Scheune, in der sie den Wurf kleiner Kätzchen fand, das Feld, auf dem Biscuit den Schwarm Wachteln aufscheuchte.“
    „Schottische Moorhühner.“ Biscuit, ihre alte Englische Schäferhündin, war genauso überrascht wie alle anderen gewesen, als die Moorhuhn-Familie aufstob und davonflog. Nachdem das erledigt war, setzte sich Biscuit hin und kratzte sich genüsslich hinter dem Ohr, um ihren Triumph zu feiern. Mack sagte damals, sie benehme sich so wie ein Pistolenheld, der den Rauch vom Lauf seines sechsschüssigen Revolvers bläst.
    „Du kommst zurecht?“ Er fragte das in einem leichten Ton, aber Tessa wusste, dass auch ihm die Frage schwerfiel.
    „Wenn ich zu Hause bin, sehe ich sie auch überall vor mir“, sagte sie.
    „Aber dort bist du daran gewöhnt. Und zu Hause hast du eine ganze Menge Erinnerungen schon verarbeitet und viele Dinge aus deinem Kopf vertrieben.“
    Sie vernahm eine Pause, aber sie war sich dessen nicht sicher. In der letzten Zeit hatten sie sich oft darüber gestritten, dass sie systematisch alles, was sie an Kayley im Haus erinnern konnte, weggeräumt hatte. Jetzt war die Inneneinrichtung des Hauses, in dem sie seit sechs Jahren wohnten, spartanisch, geradezu minimalistisch. Nur wenig deutete darauf hin, dass dort einmal ein Kind gelebt hatte. Sogar Biscuit, die sie als Welpe angeschafft hatten, als Kayley noch krabbelte, hatte ein neues Zuhause gefunden.
    „Ich bin zu gestresst, um mir darüber viele Gedanken zu machen“, log Tessa. „Und Mom schleicht um Kayleys Tod herum. Gram erwähnt sie überhaupt nicht.“
    „Aber sie denken auch an sie.“
    „Wolltest du darüber mit mir reden? Wie man alles schön wieder an die Oberfläche holen kann, damit wir gemeinsamdarüber weinen können?“ In der Frage lag so viel Schärfe, dass beide erschraken. Sie atmete laut aus. „Es tut mir leid.“
    „Tut es das?“ Es klang nicht so, als würde Mack ihr glauben.
    „Ja, es tut mir leid. Das hast du nicht verdient.“ „Das Thema ist dir unangenehm.“
    „Dir nicht?“
    „Ich bin daran gewöhnt, darüber zu sprechen.“
    Sie wusste genau, was er jetzt dachte. Weil er sich an eine Selbsthilfegruppe gewandt hatte, was sie ablehnte.
    „Das hat sie auch nicht zurückgebracht, oder?“, fragte sie. „Über sie zu sprechen bringt sie uns nicht wieder.“
    „Das soll es auch gar nicht.“
    „Na, vielen Dank! Ich verbringe meine Zeit lieber mit Aktivitäten, die verhindern, dass anderen Eltern so etwas passieren kann.“
    „Und das macht sie auch nicht wieder lebendig.“
    „Vielleicht nicht, aber so weiß ich, dass ein Kind die Schule beendet oder sein erstes Fußballtor schießt oder ein Solo im Kirchenchor singt, weil die Organisation, für die ich arbeite, einen weiteren betrunkenen Autofahrer davon abhält, sich auf die Straße zu wagen.“
    „‚Mütter gegen Alkohol am Steuer‘ ist ein guter Verein, Tessa. Du weißt, dass ich alles unterstütze, was du für seine Ziele tust.“
    „Ich weiß nicht, warum wir eigentlich schon wieder anfangen zu streiten“, sagte sie. Aber das stimmte nicht, sie kannte den Grund genau. Keiner von beiden war mit seiner Schuld und der Trauer ins Reine gekommen. Mack riss sich ein Bein aus, damit er jedes Versprechen hielt, das er machte. Und sie? Nun, sie machte einen Schritt nach dem anderen und hoffte, dass sie irgendwann so weit käme, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und Frieden mit sich zu erlangen.
    „Erinnerst du dich an den Tag, als du mir sagtest, du seiest schwanger?“, fragte Mack. „Wir sind damals auch spazieren gegangen, ungefähr hier.“
    Das war eine der zahllosen Erinnerungen, die sie versuchte zu verdrängen. Es war in der Weihnachtszeit, ein Jahr nach ihrer Hochzeit, und sie hatten gemeinsam mit Tessas Eltern einen Pflichtbesuch in Toms Brook absolviert. Nach dem rituellen Austausch der Geschenke hatten Mack und sie sich entschuldigt, um sich den zugefrorenen Teich anzusehen. Hier, auf diesem

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