Sommer der Nacht
fest. Daysinger und McKown waren die besten Schreier, sie taumelten mit einem Maximum an Stöhnen, Brüllen und Grunzen dem Ende entgegen. Mike war beim Fallen seltsam anmutig und behielt die Pose am Boden am längsten bei. Auch ein zweiter Klumpenhagel brachte ihn erst dazu, sich zu regen, wenn er es wollte. Dale erntete Beifall, indem er den ersten Todessturz, Faust voraus, ausführte und sich dabei die Haut von der Nase schürfte, als er mit dem Kopf eine Furche in den steilen Hang pflügte.
Aber Lawrence behielt die Krone. Sein letzter coup de grace bestand darin, daß er rückwärts taumelte und eine halbe Minute verschwand - die anderen grollten schon und fragten sich, wo der Balg steckte -, bis er plötzlich nicht laufend, sondern mit Höchstgeschwindigkeit springend über den Gipfel kam. Dale stöhnte regelrecht und spürte, wie ihm das Herz in der Brust hüpfte, als er sah, wie sein Bruder zehn Meter über ihm buchstäblich in die Luft sprang. Sein erster Gedanke war: Herrgott, er wird sterben. Darauf folgte unverzüglich der zweite Gedanke: Mama wird mich umbringen.
Lawrence starb nicht. Nicht ganz. Der Sprung war so kräftig und weit, daß Lawrence bis in den Teich des Steinbruchs getragen wurde - er verfehlte den harten Rand um fünf Zentimeter -, und das hochspritzende Wasser machte McKown und Kevin naß.
Dieses Ende des Teichs war das flachste - an dieser Stelle kaum anderthalb Meter tief-, daher hatte Dale schon Schreckensvisionen, wie sein kleiner Bruder mit im Uferschlamm steckendem Kopf sterben würde. Dale zog das T-Shirt hoch, um ihn zu retten, und dachte mit einem Teil seines Verstandes schon würgend daran, wie er dem kleinen Aas Mund-zu-Mund-Beatmung verpassen mußte, als Lawrence zur Oberfläche geschnellt kam und seinen Überbiß in einem breiten Grinsen sehen ließ.
Diesmal war der Applaus echt.
Nun mußten alle den Todessprung versuchen, wie Kev ihn nannte. Als Dale ihn ausführte, schaffte er ihn erst nach drei Fehlstarts und auch nur, weil es kein Zurück gab, da die anderen unten zusahen. Der Teich war so weit weg. Selbst mit den langen Beinen eines Sechstkläßlers mußte man verdammt schnell den Berg hinauflaufen, über die Kuppe stürmen und genau mit dem richtigen Schwung abspringen, wenn man über das harte Ufer unten hinauskommen wollte. Dale hätte es niemals versucht - keiner der anderen Jungs -, wenn er nicht selbst gesehen hätte, daß es möglich war. Dale mußte seinem kleinen Bruder insgeheim grollende Bewunderung zollen, während er sich selbst überraschte, als er beim vierten Versuch tatsächlich sprang.
Ein paar Sekunden flog Dale Stewart, schien acht Meter über den Köpfen seiner Freunde zu schweben, noch auf einer Ebene mit dem Gipfel ihres kleinen Bergs, und der Teich war unendlich weit entfernt hinter einer Schlammfläche, die die Sonne so hart wie Beton getrocknet hatte. Dann gedachte die Schwerkraft seiner, und er stürzte mit rudernden Armen und Beinen ab, als wollte er die Luft treten... war überzeugt, er würde es schaffen... und dann völlig sicher, daß er es nicht schaffen würde... und dann hatte er es geschafft, um Zentimeter, und das grüne und lauwarme Wasser des Steinbruchteichs war um ihn und über ihm und drang ihm in die Nase; er stieß sich mit gekrümmten Beinen vom schlingpflanzen-übersäten Boden ab und war wieder in Luft und Licht und schrie vor lauter Hochstimmung, während die anderen Jungs johlten und applaudierten.
Kevin ging als letzter - er ließ die anderen zehn Minuten warten, während er viel Getue und Gepluster vollführte, sich mehrmals die Schnürsenkel band, die Windrichtung prüfte und eine kleine Rampe aufwarf, ehe er schließlich wie eine Kanonenkugel über den Gipfel schoß, von seinem Sprung am weitesten getragen wurde und über einen Meter vom Ufer entfernt ins Wasser klatschte - mit zusammengekniffenen Beinen und zugehaltener Nase. Kev hatte als einziger genug Verstand gehabt, Jeans und T-Shirt auszuziehen, er hatte zum Sprung nur Boxershorts und Turnschuhe an.
Er kam grinsend zur Oberfläche. Die anderen johlten und applaudierten und warfen seine Jeans und das T-Shirt und die Socken in den Teich. Kevin fluchte auf deutsch, als er herauskam, und sah kaum hin, als Lawrence seinen sechsten Sprung machte und diesmal einen vollen Salto hinlegte, ehe er ins Wasser eintauchte.
Da sie schon naß waren, liefen die Jungs auf quietschenden Tennisschuhen um den Steinbruch herum und gingen richtig schwimmen; auf der anderen
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