Sommer der Nacht
Wiese hinter dem Friedhof und den Kiesberg hinauf, wo Daysinger und McKown sich seiner Meinung nach verstecken würden. »Sie werden in diese drei Richtungen schauen«, sagte er und zeichnete Pfeile nach Süden, Osten und Westen. »Aber wenn wir diese Pinien am Südhang als Deckung benützen, können wir zu ihnen hochklettern, ohne daß sie uns sehen.«
Kevin betrachtete die Karte stirnrunzelnd. »Die letzten fünfzehn Meter sind offenes Gelände. Die Hügelkuppe besteht dort nur aus Erdboden.«
»Richtig«, sagte Mike immer noch grinsend. »Wir müssen besonders leise sein. Aber vergeßt nicht, die Schießscharten in ihrem kleinen Fort da oben gehen zur anderen Seite. Solange wir keinen Lärm machen, sind wir über und hinter ihnen, ehe sie es mitbekommen.«
Dale spürte, wie seine Aufregung wuchs. »Und wir können beim Hinaufsteigen Klumpen aufsammeln. Dort gibt es jede Menge Munition.«
Kevin runzelte immer noch die Stirn. »Wenn sie uns im offenen Gelände erwischen, sind wir tot. Ich meine, sie werfen Steine.«
»Wenn es darum geht«, sagte Mike, »können wir auch Steine werfen.« Er sah sie an. »Wer ist dafür?«
»Ich!« Lawrences Votum war fast ein Aufschrei. Sein Gesicht strahlte vor Vorfreude.
»Ja«, sagte Dale, der immer noch die Karte studierte und sich fragte, wie sich Mike diesen komplizierten Plan fast ohne jedes Zögern hatte zurechtlegen können. Jeder Schritt des Wegs, den er zwischen Lager Drei und dem Sandhügel aufgezeichnet hatte, nutzte die maximale Dek-kung aus. Dale streifte seit Jahren durch diese Wälder, aber er hätte nie daran gedacht, den flachen Graben jenseits der Wiese hinter dem Friedhof als Deckung zu nutzen. »Klar«, sagte er wieder. »Machen wir es.«
Kevin zuckte die Achseln. »Solange sie mich nicht wieder gefangennehmen.«
Mike grinste sie an, ballte die Faust und duckte sich durch die Öffnung. Die anderen folgten ihm, so leise sie konnten.
»Du machst einen nachdenklichen Eindruck, Junge«, sagte Onkel Art auf dem Heimweg. Sie fuhren gerade ins Spoon River Valley hinab. Der Himmel war wolkenlos, und nach vielen Stunden in der klimatisierten, trockenen Atmosphäre der Bibliothek wirkte die Junihitze um so schlimmer. Onkel Art hatte die Fenster heruntergefahren, damit Luft durchwehen konnte, obwohl die Klimaanlage des Caddys gleichzeitig brummte. Er sah Duane an. »Kann ich dir helfen?«
Duane zögerte. Es schien irgendwie nicht richtig zu sein, es Onkel Art zu erzählen. Aber warum nicht? Er versuchte nur, Hintergrundmaterial über Old Central zu finden. Sie überquerten dröhnend die Brücke über den Spoon River. Duane sah das dunkle Wasser unten, das sich unter überhängenden Ästen nach Norden wand, und wieder seinen Onkel an. Warum nicht?
Duane erzählte ihm von den Zeitungsartikeln. Von der Borgia-Glocke. Von den Anmerkungen Cellinis, die er in der Bibliothek gefunden hatte. Als er fertig war, kam er sich seltsam ausgelaugt und verlegen vor, fast als hätte er etwas von sich preisgegeben, dessen er sich schämen müßte. Aber gleichzeitig fühlte er sich erleichtert.
Onkel Art pfiff und sagte einen Moment lang gar nichts, klopfte nur mit den Fingern auf dem Lenkrad. Seine blauen Augen schienen auf etwas anderes als die Fahrbahn zu blicken. Sie kamen zur Schotterstraße Richtung Norden zur County Six, wo Onkel Art nach rechts abbog und bremste, damit der Cadillac keine Steine gegen den Unterboden schleuderte oder zu heftig in die Spurrillen plumpste. »Glaubst du, die Glocke könnte noch dort sein?« fragte er schließlich. »Noch in der Schule?«
Duane rückte die Brille zurecht. »Ich weiß nicht. Ich habe noch nie davon gehört. Du?«
Onkel Art schüttelte den Kopf. »In all den Jahren nicht, seit ich hier wohne. Das ist natürlich erst seit dem Krieg. Die Familie deiner Mutter stammte von hier. Wie auch immer, etwas hätte ich gehört, wenn das Wissen um die Glocke allgemein zugänglich wäre.« Sie kamen zur Kreuzung County Six und Jubilee College Road, wo Onkel Art anhielt. Sein Haus lag drei Meilen entfernt an der Schotterstraße Jubilee College Road, aber er mußte Duane nach Hause bringen. Links vor ihnen konnte man die Black Tree Tavern gerade unter den Ulmen und Eichen erkennen. Es standen schon ein paar Pritschenwagen dort, obwohl es erst früher Nachmittag war. Duane sah weg, ehe er ausmachen konnte, daß der Wagen seines Alten dabei war.
»Ich mach' dir einen Vorschlag, Junge«, sagte Onkel Art. »Ich werde mich wegen der Glocke in der
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