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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mitten ins Feld hinein, wo sie eine neun Meter breite Schneise durch die Frucht fraß. Duane lief durch das offene Tor und folgte ihr brüllend und mit rudernden Armen. Der Alte sah nicht einmal zurück.
    Die riesige Maschine war fast zweihundert Meter ins Feld vorgedrungen, als sie plötzlich ruckartig zum Stillstand kam. Der Motor wurde abgewürgt. Duane blieb stehen, rang keuchend nach Luft und stellte sich vor, wie der Alte über dem Steuer hing und ob der Frustration weinte, die ihn dazu getrieben hatte.
    Duane holte tief Luft und rannte zu der verstummten Dreschmaschine.
    Die Fahrtlichter oben an der Kabine waren aus, die Tür war offen, aber die Innenbeleuchtung war kaputt und die Kabine leer. Duane ging langsam näher und spürte die scharfen Stoppeln unter den Hausschuhen; er zog sich zu der schmalen Plattform an der linken Seite der Kabine hinauf.
    Nichts.
    Duane blickte über das Feld. Der Mais war wenig mehr als kniehoch, aber er erstreckte sich mehr als eine halbe Meile zu dunklen Grenzen in jeder Richtung, abgesehen von der zur Scheune zurück. Die Spur der Verwüstung hinter dem Mähdrescher war selbst im spärlichen Sternenlicht zu erkennen. Das Licht in der Scheune schien so fern zu sein wie die Sterne droben.
    Duanes Herz hatte während des Laufs heftig geschlagen, und jetzt klopfte es wieder schneller. Er beugte sich über das Metallgeländer der Plattform und rechnete fast damit, den Umriß eines Menschen im Mais zu sehen, wo der Alte heruntergefallen war. Nichts.
    Der Mais wuchs sehr dicht, die Reihen waren nicht mehr zu unterscheiden, da die Blätter der Pflanzen sich überlappten. Duane wußte, noch ein paar Wochen, dann würde das Feld schulterhoch stehen, ein Monolith aus Mais.
    Aber jetzt hätte er den Alten sehen müssen. Er trat auf die Vorderseite der Plattform und sah über den Maisernter und die rechte Seite des Mähdreschers, so gut er konnte.
    »Dad?« Seine Stimme schien piepsig. Duane rief noch einmal.
    Keine Antwort. Nicht einmal das Rascheln der Pflanzen verriet ihm, in welche Richtung der Alte gegangen war.
    Vom Hof ertönte ein Geräusch. Duane ging zum hinteren Rand der Plattform und sah, wie der Pritschenwagen im Hof auftauchte. Er verschwand hinter dem Haus, kam wieder vor dem Haus zum Vorschein und fuhr die Einfahrt zurück. Die Scheinwerfer waren aus, die Tür noch offen. Es sah aus, als würde ein Film rückwärts laufen. Duane wollte rufen, doch dann wurde ihm klar, wie nutzlos das sein würde; er sah schweigend zu, wie der Lastwagen das Ende der langen Einfahrt erreichte und - immer noch unbeleuchtet - die County Six hinunterfuhr.
    Das war nicht der Alte. Der Gedanke traf ihn wie kaltes Wasser, das seinen Rücken hinuntergeschüttet wurde.
    Duane stieg in die Kabine und setzte sich auf den hohen Sitz. Er würde das gottverdammte Ding zum Haus zurückfahren.
    Er sah keinen Schlüssel. Duane machte die Augen zu und versuchte, sich sämtliche Veränderungen vorzustellen, die der Alte am Zündsystem des Dings vorgenommen hatte. Er zog trotzdem am Starter. Nichts. Der Mähdrescher würde ohne den Zündschlüssel nicht anspringen.
    Duane kippte den Schalter für die hellen Scheinwerfer; er würde damit die Batterie ziemlich schnell verbrauchen, aber dafür sechzig Meter des Felds beleuchten wie den lichten Tag.
    Nichts. Der Schlüssel mußte stecken, fiel Duane wieder ein.
    Er ging auf die Plattform hinaus, spürte den Schweiß auf dem Gesicht und atmete langsam und regelmäßig, um sich zu beruhigen. Der Mais, der vor wenigen Stunden noch so klein gewirkt hatte, schien nun groß genug zu sein und für alles mögliche ein Versteck zu bieten. Nur die neun Meter breite Schneise abgemähter Stoppeln bot einen überschaubaren Weg zur Scheune zurück.
    Duane war noch nicht bereit, diesen Weg zu gehen.
    Er trat auf einen Metallsims hinter der Kabine und zog sich zu dem leeren Getreidetank hoch. Die Metallabdek-kung ächzte ein wenig unter seinem Gewicht. Duane beugte sich nach vorne, fand einen Handgriff und zog sich aufs Dach der Kabine. Aus einer Höhe von vier Metern war das Feld eine schwarze Masse, die sich bis zum Rand der Welt erstreckte. Die Westwiese lag eine halbe Meile rechts von ihm, die schwarze Linie von Mr. Johnsons Bäumen befand sich mehrere hundert Meter direkt voraus. Links verlief der Mais eine Viertelmeile bis zur Straße, wo er den Pritschenwagen davonfahren hörte. Duane konnte die Lichter von Onkel Henrys Farm eine Meile oder so südöstlich

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