Sommer der Nacht
»Nein, Sir«, flüsterte er.
»Ich auch nicht«, flüsterte Duanes Vater und machte wieder die Augen zu.
»Könnte ich sie mir ansehen, Sir?« fragte Dale.
»Was denn, Junge?« Es war eine schläfrige, zerstreute Stimme.
»Duanes Notizbücher. Von denen wir gesprochen haben.«
»Konnte sie nicht finden«, sagte Mr. McBride, ohne die Augen aufzumachen. »Hab' unten gesucht... überall... konnte Duanes Notizbücher nicht finden. Wie die Scheißtür vom Cadillac... « Er verstummte.
Dale wartete eine geschlagene Minute, hörte den Atem des Mannes, der zum Schnarchen wurde, und ging einen Schritt auf die Kellertreppe zu.
Mr. McBride pumpte den Abzug der Schrotflinte. »Geh weg, Junge!« murmelte er. »Geh sofort! Geh weit weg!«
Dale sah zur Treppe - so nahe - und sagte: »Ja, Sir«, und ging zurück durch die Küchentür.
Das Licht war überaus grell. Dale ging die dreißig Schritte die Einfahrt entlang, wobei er spürte, wie ihm das T-Shirt am Körper klebte, dann duckte er sich unter den chinesischen Ulmen durch ins Maisfeld. Er glaubte nicht, daß Mr. McBride in die Küche gegangen war, um ihm nachzusehen. Er ging durch die dichten Maispflanzen, bis er fast über Mike und die anderen stolperte, die noch dort warteten.
»Herrje«, zischte Harlen, »was hat dich aufgehalten?«
Dale erzählte es ihnen.
Mike seufzte, drehte sich auf den Rücken und sah zwischen den Maispflanzen zum strahlenden Himmel hinauf. »Das war's dann für heute. Wahrscheinlich geht er erst in die Stadt, wenn er heute abend aufwacht.«
»Nn-nnn«, sagte Dale. »Ich geh' wieder rein.«
Das Fenster war schmaler als Dale gedacht hatte. Er zerriß sich das T-Shirt und schürfte dabei auch noch etwas Haut ab.
Unter dem Fenster stand noch eine Werkbank - das elende Haus schien voll davon zu sein -; Dale stellte vorsichtig die Füße darauf und ließ sich hinunter, wobei er das Gestell unter sich knirschen hörte.
In dem Keller war es viel kühler als draußen, und es roch auch nach Keller: ein schwacher Geruch nach Schimmel, Waschmittel, verstopften Abflußrohren, Sägemehl, Beton und Ozon, wahrscheinlich von allen Radios und Elektronikbauteilen, die auf jeder freien Oberfläche herumlagen.
Dale war früher schon einmal in Duanes Kellerzimmer gewesen und wußte, er befand sich im hinteren Teil, wo Dusche und Waschküche lagen. Duanes >Zimmer< war näher bei der Treppe. Toll. Wo der Alte oben mich hören kann. Und wo ich nicht an dieses Fenster gelangen und winken kann.
Er schlich auf Zehenspitzen durch den Raum und blieb an der Tür stehen, um zu lauschen. Von der Treppe und von oben war kein Laut zu vernehmen. Dale wünschte sich, die Kellertüre wäre geschlossen.
In diesem Zimmer war es dunkler; es gab keine Fenster. Kein Fluchtweg. Verschiedene Lichtquellen waren vorhanden - eine Kordel für ein Deckenlicht, eine Lampe neben dem dunklen Klotz des Betts, eine Art Schreibtischlampe am großen Tisch neben dem Bett-, aber Dale konnte keine einschalten, da man das Licht oben an der Treppe gesehen hätte. Wenn er schläft, wird er es nicht sehen. Ein nicht so dreister Teil von Dales Verstand verriet ihm, daß der Mann mit der Schrotflinte es aber doch sehen würde, wenn er wach war. Schon das Klicken beim Einschalten konnte ihn wecken.
Dale konnte kaum atmen, während er neben dem Bett kauerte und wartete, bis sich seine Augen an die fast völlige Dunkelheit gewöhnt hatten. Und wenn etwas unter dem Bett hervorkommt... ein weißer Arm... Duane! Duanes Gesicht, aufgedunsen und tot wie das von Tubby... nein, wie Hackfleisch, so wie Digger es gesagt hat...
Dale zwang sich aufzuhören. Das Bett war ordentlich gemacht, und als Dales Augen sich anpaßten, konnte er die sanften Falten und Wülste der Bettdecke erkennen. Nichts kam unter dem Bett hervor.
Überall waren Bücher. Bücher auf selbstgebauten Regalen, Bücherstapel auf Möbelstücken hinter dem Bett, Bücherreihen auf Schreibtisch und Fenstersims, Kartons voller Bücher unter dem Schreibtisch, sogar reihenweise Taschenbücher auf dem Betonsims, der um den ganzen Keller verlief. Einzig die Anzahl der Radios konnte es mit der der Bücher aufnehmen: Radiowecker und Standmodelle, alte Radios mit Art-deco-Bakelit-Kurven und nackte Radios aus Bausätzen, winzige Transistorradios und eine ausgewachsene Musiktruhe von Atwater Kent zwischen Duanes Bett und dem Schreibtisch, die mindestens einen Meter zwanzig hoch war.
Dale sah zuerst in den langen Reihen und den Bücherkartons nach. Er
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