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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schlimmer als vor wenigen Wochen, als Dales Familie etwas zu essen vorbeigebracht hatte. Mit den grauen Stoppeln sah Duanes Dad wie ein uralter Mann aus, Wangen und Nase waren von roten, geplatzten Äderchen überzogen. Die Augen lagen so tief in den Höhlen, daß sie fast unsichtbar waren. Dale konnte den Geruch von Schweiß und Whisky des Mannes riechen.
    »Ihr glaubt, jemand hat meinen Duane getötet?« Es war eine Herausforderung. Die Schrotflinte blieb auf Dales Gesicht gerichtet.
    »Ja«, sagte Dale. Seine Knie fühlten sich komisch an, als könnten sie ihn nicht mehr lange tragen.
    Mr. McBride ließ die Schrotflinte sinken. »Junge, außer mir bist du der einzige, der das denkt.« Er trank aus einer der Flaschen auf dem Tisch. »Ich hab's diesem Arschloch von einem Constable gesagt, der Polizei von Oak Hill, der State Patrol... allen, die mir zugehört haben. Aber niemand hat mir geglaubt.« Er hob die Flasche hoch, trank sie leer und warf sie auf den Boden. Er rülpste. »Ich habe ihnen gesagt, sie sollen Congden fragen, den elenden Scheißer... er hat Arts Auto gestohlen, hat die Tür abgemacht, damit wir die Farbe nicht identifizieren konnten ...«
    Dale hatte keine Ahnung, wovon Mr. McBride sprach, hatte aber nicht die Absicht, ihn mit einer Frage zu unterbrechen.
    »Hab' ihnen gesagt, sie sollen Congden fragen, wer meinen Jungen getötet hat...« Duanes Vater suchte die Flaschen ab, bis er eine gefunden hatte, die nicht leer war. Er trank einen großen Schluck. »Hab' ihnen gesagt, Congden weiß etwas darüber, wer meinen Jungen getötet hat... sie haben gesagt, mein Junge wäre wegen Arts Tod nicht bei Verstand gewesen... Hast du gewußt, daß mein Bruder gestorben ist, Junge?«
    »Ja, Sir«, hauchte Dale.
    »Ihn haben sie auch getötet. Ihn zuerst. Dann meinen Jungen. Sie haben Duane getötet.« Er hob die Schrotflinte, als hätte er vergessen gehabt, daß er sie auf dem Schoß liegen hatte, stellte sie hin, tätschelte sie und sah Dale blinzelnd an.
    »Wie heißt du, Junge?«
    Dale sagte es ihm.
    »O ja. Du warst schon mal hier und hast mit Duanie gespielt, richtig?«
    »Ja, Sir«, sagte Dale und dachte: Duanie?
    »Weißt du, wer meinen Jungen getötet hat?«
    »Nein, Sir«, sagte Dale. Nicht mit Sicherheit. Erst wenn ich Duanes Notizbücher gesehen habe.
    Mr. McBride trank die nächste Flasche leer. »Ich hab' ihnen gesagt, fragt den Wichser Congden, den sogenannten Friedensrichter. Sie sagen, Congden wird seit dem Tag, nachdem mein Duanie gestorben ist, vermißt, und ob ich etwas darüber wüßte? Denken die, daß ich ihn getötet habe? Blöde Arschlöcher.« Er tastete auf dem Tisch herum, wobei er mehrere Flaschen umstieß, konnte aber keine mehr finden, die noch voll war. McBride stand auf, stolperte zu einem Sofa an der Wand, fegte Plunder herunter, ließ sich darauf fallen und nahm die Schrotflinte wieder quer über die Schenkel. »Ich hätte ihn umbringen sollen. Hätte ihn zwingen sollen, mir zu sagen, wer Art und meinen Jungen getötet hat, und dann ihn töten...« Plötzlich richtete er sich auf. »Was willst du, hast du gesagt, Junge? Duane ist nicht hier.«
    Dale spürte, wie er Gänsehaut am Rücken bekam. »Ja, Sir. Das weiß ich. Ich wollte ein Notizbuch suchen, das Duane gehabt hat. Möglicherweise mehr als eines. Es muß etwas für mich darin stehen.«
    Mr. McBride schüttelte den Kopf, dann hielt er sich stützend an der Rückenlehne des Sofas fest. »Nn-nnn. Er hat nur seine Einfälle für Geschichten in den Notizbüchern aufgeschrieben, Junge. Nichts für dich. Nichts für mich...« Er senkte den Kopf auf die Armlehne des Sofas und machte die Augen zu. »Vielleicht hätte ich die Beerdigung nicht so geheimhalten sollen«, flüsterte er. »Ich habe ganz vergessen, daß er seine Freunde gehabt hat.«
    »Ja, Sir«, flüsterte Dale.
    »Ich war nicht sicher, wo ich die Asche ausstreuen sollte«, murmelte Mr. McBride, als würde er im Schlaf sprechen. »Sie sagen Asche, aber es sind noch Knochenstücke darin. Hast du das gewußt, Junge?«
    »Nein, Sir.«
    Der Mann auf dem Sofa murmelte weiter. »Einen Teil habe ich wie die von Art in den Fluß gestreut... Ich glaube, da hat es Duanie gefallen... und den Rest auf dem Feld, wo er und der Hund immer gespielt haben. Wo der Hund begraben ist.« Mr. McBride schlug die Augen auf und sah Dale starr an. »Glaubst du, es war falsch, daß ich sie so aufgeteilt habe, Junge?«
    Dale schluckte. Der Hals tat ihm weh, es fiel ihm schwer zu sprechen.

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