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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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im Hitzeflimmern der Straße und der Motorhaube zu flackern. Der Fahrer sah im Vorbeifahren neugierig heraus. Der Laster blieb stehen und setzte zurück.
    »Was macht ihr denn da?« rief Kevins Vater aus dem hohen Fahrerhaus des Milchlasters. Der polierte Edelstahl des langen Tanks gleißte so hell in der Mittagssonne, daß man ihn fast nicht ansehen konnte. »Was habt ihr Jungs denn vor?«
    Kevin grinste und machte eine unbestimmte Geste Richtung Stadt. »Nur so rumfahren.«
    Sein Vater betrachtete die Jungs, die auf den Zäunen hockten wie abflugbereite Vögel, mit zusammengekniffenen Augen. »Komm rasch nach Hause«, sagte er. »Ich brauche Hilfe, wenn ich den Tank saubermache, und deine Mutter möchte, daß du heute nachmittag den Garten jätest.«
    »jawoll, Sir«, sagte Kevin und salutierte. Sein Dad runzelte die Stirn, worauf sich der lange Laster in Bewegung setzte und in einer Staubwolke verschwand.
    Sie standen eine Zeitlang auf der Straße und hielten die Fahrräder, ehe sie wieder aufstiegen. Dale fragte sich, ob die anderen auch weiche Knie hatten.
    Bis sie den Stadtrand erreichten, tauchten keine Laster oder Autos mehr auf. In der Stadt war es dunkler, überall an den Straßen filterten Dutzende Laubschichten das Licht, aber der Tag war nicht weniger heiß, der Sommer schien sie immer noch unter den Fersen zermalmen zu wollen, als sie sich noch einmal kurz im Hühnerhaus trafen und dann zum Mittagessen und ihren verschiedenen Aufgaben nach Hause gingen.
    Mike behielt die Notizbücher. Seine Schwester hatte immer noch eines ihrer Kurzschriftlehrbücher von Gregg herumliegen, und er versprach, er würde es suchen und entschlüsseln anfangen. Nach dem Mittagessen kam Dale und half ihm.
    Mike sah nach Memo, fand Pegs Lehrbuch auf dem Regal seiner Schwester gleich neben ihrem blöden Tagebuch - sie würde ihn umbringen, wenn sie ihn in ihrem Zimmer erwischte - und nahm den ganzen Stapel Notizbücher mit ins Hühnerhaus.
    Er und Dale stellten Vergleiche an, um sicherzustellen, daß es sich wirklich um Kurzschrift handelte, beschlossen dann, eine oder zwei Zeilen zu entschlüsseln, hatten am Anfang Schwierigkeiten, fanden aber bald den Rhythmus. Duane McBrides Schnörkel waren nicht exakt dieselben wie in dem Lehrbuch, aber hinreichend ähnlich. Mike ging ins Haus zurück, fand ein Big Chief-Tablett und zwei Bleistifte und kehrte ins Hühnerhaus zurück. Die Jungs arbeiteten schweigend.
    Sechs Stunden später lasen sie immer noch, als Mikes Mutter ihn zum Essen rief.

26 
    Mike wollte freiwillig mit Mrs. Moon sprechen. Er kannte sie am besten.
    Nach dem Abendessen, während Hitze und Licht des Tages langsam nachließen, hatten sich alle außer Cordie im Hühnerhaus getroffen, um zu erfahren, was in den Notizbüchern stand.
    »Wo ist das Mädchen?« fragte Mike.
    Jim Harlen zuckte die Achseln. »Ich war bei ihrem Rattenloch von einem Haus ...«
    »Allein?« unterbrach ihn Lawrence.
    Harlen sah den kleineren Jungen blinzelnd an, dann achtete er nicht mehr auf ihn. »Ich war heute nachmittag dort, war aber niemand zu Hause.«
    »Vielleicht war sie einkaufen oder so«, meinte Dale.
    Harlen schüttelte den Kopf. Heute abend sah er mit seinem Gips und der Schlinge seltsam blaß und verwundbar aus. »Nn-nnn, ich hab' gemeint, es war verlassen. Überall Plunder verstreut... alte Zeitungen... Möbelstücke, eine Axt... als hätte die Familie alles auf einen Laster geworfen und die Flatter gemacht.«
    »Keine schlechte Idee«, flüsterte Mike. Er hatte Duanes Notizbücher vollständig entziffert.
    »Hm?« sagte Kevin.
    »Hört zu«, sagte Mike O'Rourke, hob die betreffenden Notizbücher hoch und fing an zu lesen.
    Die vier Jungs hörten fast eine Stunde lang zu; Dale las weiter, als Mikes Stimme heiser wurde. Dale hatte alles schon einmal gelesen - er und Mike hatten Notizen verglichen, während sie das Material entschlüsselt hatten -, aber allein es noch einmal mit seiner eigenen Stimme laut ausgesprochen zu hören, machte seine Beine zittrig.
    »Heiliger Himmel«, flüsterte Harlen, als sie alles von der Borgia-Glocke und Dales Onkel gelesen hatten. »Ach du Scheiße«, fügte er im selben ehrfürchtigen Tonfall hinzu.
    Kevin verschränkte die Arme. Es wurde mittlerweile ziemlich dunkel draußen, und Kevs T-Shirt leuchtete am hellsten von allen. »Diese Glocke hängt die ganze Zeit da oben, seit wir zur Schule gehen ... all die Jahre?«
    »Mr. Ashley-Montague hat Duane gesagt, sie wäre abgenommen und eingeschmolzen

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