Sommer der Nacht
er in der zweiten Klasse einmal mit Michelle gesprochen hatte - sie warteten an nebeneinander gelegenen Schaukeln, bis sie an der Reihe waren - und etwas darüber sagte, wie seltsam es war, der einzige Katholische unter nichtkatholischen Kindern zu sein. »Klar«, sagte er zum viertenmal und fragte sich, ob diese Antwort sich nicht mit der Zeit vielleicht ein bißchen abnutzte.
Michelle sah wunderschön aus. Mike fiel sofort das Wort >a-temberaubend< ein. Sie trug ein grünes Chiffonkleid, irgendwie gebauscht wie das einer - wie hieß es doch gleich? Ballerina, aber nicht so kurz, und ihr langes rotes Haar wurde von einem grünen Reif und einer grünen Schleife gehalten. Ihre Augen waren grün. Ihre Beine waren sehr lang. Mike stellte fest, sie hatte sich in den vergangenen paar Monaten... mm, verändert... möglicherweise in den sechs Wochen seit Ende des Schuljahrs. Das Oberteil ihres Kleides war ... nun, voller... und ihre Beine waren anders, und ihre Hüften waren anders, und wenn sie die bloßen Oberarme hob, um einfach nur so ihren Haarreif zurechtzurücken, bemerkte Mike den zartesten Flaum in ihrer Achselhöhle. Ob sie sich dort rasiert? Wie Peg und Mary? Rasiert sie ihre Beine?
Mike merkte, daß Michelle etwas zu ihm gesagt hatte. »Pardon... was?«
»Ich habe gesagt, ich würde mich später gern ein bißchen mit dir unterhalten. Über etwas Wichtiges.«
»Klar«, sagte Mike. »Wann?« Er dachte so an August.
»Wie wäre es in einer halben Stunde? In der Scheune?« Michelle deutete mit einer anmutigen Handbewegung auf das große Gebäude.
Mike drehte sich um, riß die Augen auf und nickte, als hätte er die Scheune noch nie bemerkt. »Klar«, sagte er verblüfft, aber Michelle war schon fort und mischte sich anmutig unter ihre Gäste.
Vielleicht lädt sie alle in die
Scheune ein. Aber irgendwie glaubte Mike das nicht so recht.
Er ging zum Grillstand zurück, und jeder Gedanke an einen frühen Aufbruch war wie weggeblasen. Seine Mom und die Mädchen blieben heute nacht wach und paßten auf Memo auf. Er wünschte sich, Harlen hätte seine Flasche Whisky oder Wein oder was auch immer mit zu der Party gebracht, statt seiner dummen Pistole.
>Wie wäre es in einer halben Stunde? In der Scheune?< hallte es durch seinen Schädel, während er die präzise Betonung überdachte und auskostete und sie mit den zugehörigen Bewegungen verband. Wie die meisten Jungs in Elm Haven, war Mike seit... nun, seit ewig in Michelle Staffney verknallt. Aber im Gegensatz zu den anderen Jungs war er nicht so auf das Verknalltsein fixiert - möglicherweise weil er sitzengeblieben und nicht mehr in ihrer Klasse war; aus den Augen, aus dem Sinn. Es fiel leichter, nicht an Michelle Staffney zu denken, wenn man sie nur auf dem Spielplatz oder ab und zu in der Kirche oder in der Pause sah, wenn sie ein Schinkensandwich zum Mittagessen aß.
Mike bezweifelte, daß er sie so bald wieder übersehen würde. Artner Harlen, dachte er mit einem Anflug von Mitleid für seinen Freund und dessen Krawatte. Dann dachte er: Scheiß auf Harlen!
Mike besaß keine Uhr, daher blieb er die nächsten dreißig Minuten in der Nähe von Kevin und hob manchmal den Arm seines Freundes, um auf die Uhr zu sehen, ohne zu fragen. Einmal bemerkte Mike Donna Lou Perry und ihre Freundin Sandy in einer Gruppe im Vorgarten und verspürte die Neigung, zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden - sich wegen der Sache mit dem Ausziehen auf dem Spielfeld letzten Monat zu entschuldigen -, aber Donna Lou lachte und redete mit ihren Freundinnen, und Mike blieben nur noch acht Minuten.
Die Scheune lag außerhalb des Partygeschehens, das große Tor war'mit einem Vorhängeschloß versperrt, aber im Schatten der großen Eiche, die die Einfahrt überdachte, befand sich eine kleinere Tür. Mike schob den Riegel zurück und trat ein. »Michelle?« Es roch nach altem Holz und Stroh, das der warme Tag aufgeheizt hatte. Mike wollte gerade noch einmal rufen, als er sich überlegte, daß er verspottet wurde: Michelle hatte nicht im Traum daran gedächt, sich privat mit ihm zu unterhalten - es war lediglich ein Spaß, genau wie sie den dummen armen Harlen angemacht hatte.
Und jetzt den dummen armen Mike, dachte Mike und drehte sich wieder zur Tür um.
»Hier oben«, sagte Michelle Staffneys leise Stimme.
Zuerst konnte Mike den Standort dieser Stimme nicht bestimmen, aber dann offenbarte das Licht der draußen aufgehängten Glühbirnen, so diffus es durch die staubigen Scheiben auch
Weitere Kostenlose Bücher