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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wirkte, eine Leiter zwischen leeren Ställen zu einem Heuschober. Das Dach der Scheune verlor sich fast zehn Meter oben im Schatten.
    »Komm rauf, Dummerchen!« rief Michelle.
    Mike stieg hinauf und spürte die kleine Phiole Weihwasser in der Tasche - ein Versuch in letzter Minute, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, bevor er von zu Hause aufgebrochen war. Hi, ist das da eine Phiole Weihwasser in deiner Tasche, oder freust du dich nur so, mich zu sehen ?
    Der Schober war ein dunkler Wirrwarr aus Stroh, aber sanftes Licht fiel durch eine Tür in der Nordwand, die die alte Scheune vom neueren Anbau der Garage trennte. Mike stellte fest, daß die Staffneys über der Garage noch ein kleines Zimmer angebaut hatten.
    Michelle lehnte am Türrahmen und lächelte ihn an. Buntes Licht von zwei Fenstern an der Ost- und Westseite des kleinen Zimmers umrahmte sie und erzeugte eine Korona um ihr rotes Haar. »Komm rein«, sagte sie schüchtern, trat beiseite und ließ ihn durch. »Dies ist mein Geheimversteck.«
    »Hmmm«, sagte Mike, ging an ihr vorbei und nahm mehr ihre warme Präsenz wahr als das kleine Zimmer unter dem Dachfirst mit dem Schreibtisch, der dunklen Lampe und der Sammlung zu kleiner Stühle. Dicht unter den kahlen Brettern des Dachstuhls stand ein Sofa. »Sozusagen wie ein Clubhaus, hm?« sagte er und gab sich im Geiste einen Tritt. Idiot.
    Michelle lächelte. Sie kam näher zu ihm. »Weißt du, warum dieser Monat etwas Besonderes ist, Mikey?«
    Mikey? »Äh... weil du Geburtstag hast?«
    »Nun, ja«, sagte Michelle und kam noch einen Schritt näher. Mike konnte ihren sauberen Seifen- und Shampoo-geruch wahrnehmen. Die blasse Haut ihrer Arme sah im Schein der bunten Glühbirnen in den Zweigen draußen leicht rosa aus. »Der zwölfte Geburtstag eines Mädchens ist wichtig«, sagte sie fast flüsternd. »Aber es passiert etwas mit einem Mädchen, das noch wichtiger ist, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Klar«, sagte Mike und flüsterte ebenfalls fast, weil er ihr so nahe war. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon um alles in der Welt sie sprach.
    Michelle wich einen Schritt zurück, legte einen Finger auf die Lippen und lächelte verhalten, als wäre sie unschlüssig, ob sie ihm ein Geheimnis verraten sollte. »Weißt du, daß ich dich immer gemocht habe, Mikey?«
    »Äh... nein«, sagte Mike wahrheitsgemäß.
    »Doch, das stimmt. Seit wir in der ersten Klasse miteinander gespielt haben. Weißt du noch, wie wir auf dem Spielplatz Familie gespielt haben... du warst der Daddy und ich die Mommy?«
    Mike konnte sich vage erinnern, daß er in der ersten Klasse eine Zeitlang Mädchenspiele gespielt hatte. Aber er hatte beizeiten gelernt, auf der Jungenseite des Spielplatzes zu bleiben. »Klar«, sagte er mit weitaus mehr Enthusiasmus als er empfand.
    Michelle drehte sich halb um, sie machte eine Pirouette wie eine Ballerina oder so. »Magst du mich, Mikey?«
    »Klar.« Was hatte sie erwartet - Nn-nnn, du siehst aus wie eine Kröte? Und um die Wahrheit zu sagen, in diesem Augenblick mochte er sie ganz außerordentlich. Er mochte, wie sie aussah und roch und den sanften Klang ihrer Stimme und das warme Kribbeln, in ihrer Nähe zu sein - das so anders war als die kalte, magenverkramp-fende Nervosität dieses verrückten Sommers... »Ja«, sagte er. »Ich mag dich.«
    Michelle nickte, als hätte er ein Zauberwort gesagt. Sie ging zwei Schritte zurück, stellte sich ans Fenster und sagte: »Mach die Augen zu.«
    Mike zögerte nur eine Sekunde. Mit geschlossenen Augen konnte er das Stroh von nebenan riechen, eine sanfte Mischung aus Öl und Beton und frisch geschnittenes Pinienholz aus der Garage unten und - flüchtig, aber vorhanden - den Geruch von ihrem Shampoo und warmem Fleisch.
    Ein leises Rascheln erklang, dann sagte Michelle: »Gut.«
    Mike machte die Augen auf, und ihm war, als hätte ihm jemand in den Solarplexus geschlagen.
    Michelle Staffney hatte das Partykleid ausgezogen und stand nur in einem kleinen weißen Büstenhalter und schlichten weißen Unterhosen vor ihm. Mike war, als hätte er noch niemals etwas so klar und deutlich gesehen - ihre blassen, weißen Schultern mit den goldenen Sommersprossen auf Armen und Brust, die weiße Krümmung der Brüste über der Stretchkante des Büstenhalters, ihr langes Haar, das hinter ihr herabfiel - eine Korona roten Lichts, durch die wiederum Licht strömte, die weiche, schwarze Krümmung ihrer Wimpern auf den Wangen, wenn sie blinzelte - Mike versuchte,

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