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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dem Bauch des Dings zu hören war, und Mike ließ die Hostie fallen, als das Ding rückwärts taumelte und die Finger auf das drückte, was von dem Gesicht noch übrig war.
    Mike sprang zurück, als er sah, wie sich zwölf Zentimeter lange braune Maden auf dem Gras wanden und krümmten, während die Hostie in einem blau-grünen inneren Leuchten zu erstrahlen schien. Bruchstücke von Pater Cavanaughs Fleisch zischten und schrumpelten zusammen wie Schnecken, die von einem Salzregen überrascht werden.
    Peg schrie aus dem Schlafzimmer. Mike stolperte zur Veranda, wo er seine Mutter zur Tür herauswanken sah -den Schmerz der Migräne in den Augen, und sie hielt einen feuchten Waschlappen an die Schläfen -, dann sahen sie gemeinsam zu, wie der Schatten von Pater Cava-naugh, die Hände immer noch auf dem verwüsteten Gesicht - auf die First Avenue stolperte und ein schreckliches Geräusch von sich gab, wie ein Boiler kurz vor der Explosion.
    »Mike, was...?« sagte seine Mutter trotz ihrer Schmerzen und blinzelte, damit sie besser sehen konnte, als Scheinwerfer die Gestalt anstrahlten, die unter der Linde hervortaumelte.
    Autos bremsten kaum ab, wenn sie auf der First Avenue in die Stadt fuhren, obwohl ein Schild dreißig Meter weiter vorne am Straßenrand verkündete, daß die Geschwindigkeitsbegrenzung fünfunddreißig Meilen betrug. Die meisten Autos fuhren mit fünfundvierzig bis fünfzig Stundenmeilen weiter, bis sie drei Blocks weiter südlich zur Hard Road kamen. Der Pritschenwagen mußte sechzig gefahren sein, möglicherweise mehr.
    Pater C. taumelte direkt davor; die große Gestalt war vor Schmerzen fast zusammengeklappt und krallte die Finger ins Gesicht. Als die Bremsen in letzter Sekunde quietschten, nahm er die Hände weg.
    Der Kühler des Kleinlasters erwischte das Gesicht des Priesters voll, der Körper verschwand unter dem Auto, wurde vierzig Meter weit mitgerissen, Peg schrie im Haus, und Mikes Mutter legte die Arme um ihren Sohn, als wollte sie ihn vor dem Anblick beschützen.
    Als er und seine Mutter näher hingingen, um festzustellen, was los war, waren die Somersets und Millers und Meyers schon aus ihren Häusern gekommen, Bar-neys kaum benützte Sirene heulte zwei Blocks entfernt und kam rasch näher, und der Fahrer des Pritschenwagens lag auf den Knien auf dem Asphalt und bedeckte selbst das Gesicht mit den Händen, während er die Überreste des Priesters unter dem Auto betrachtete und immer wieder murmelte: »Ich hab' ihn nicht gesehen... er ist einfach auf die Straße gelaufen.«
    Obwohl Schock und Entsetzen Mikes Sinne abgestumpft hatten, erkannte er den Fahrer. Es war Mr. McBride, Duanes Dad. Der Mann schluchzte und stützte sich auf das Trittbrett seines Kleinlasters.
    Mike wandte sich von der murmelnden Menge ab, ging zum Haus zurück und biß sich fest auf den fleischigen Handballen unter dem Daumen. Er fürchtete, wenn er nicht zubeißen würde, würde er anfangen zu lachen oder zu weinen, und er war nicht sicher, ob er wieder damit aufhören könnte.

35
    Samstag, der 16. Juli, war ein so dunkler Tag, wie es ihn im Mittsommer in Illinois nur geben kann. In Oak Hill, wo die Straßenlaternen von Fotozellen geschaltet wurden, gingen die Lichter um halb sechs aus und um Viertel nach sieben wieder an. Die dunklen Wolken schienen über die Baumkronen zu wandern und dort hängen zu bleiben. In Elm Haven wurden die wenigen Straßenlampen von einer alten elektrischen Zeitschaltuhr in einem Kasten neben der Bank ein- und ausgeschaltet, und niemand dachte daran, sie wieder einzuschalten, als der Tag dunkler wurde statt heller.
    Mr. Meyers öffnete seinen Kurzwarenladen Dry Goods auf der Main Street genau um neun Uhr und sah sich zu seiner Überraschung vier Jungs gegenüber - den beiden kleinen Stewarts, Ken Grumbachers Sohn Kevin und einem Jungen mit Gips und Schlinge -, die warteten, daß sie Spritzpistolen kaufen konnten. Drei pro Nase. Die Jungs ließen sich mehrere Minuten Zeit, wählten mit großer Sorgfalt die zuverlässigsten Pistolen mit den größten Wasserbehältern. Das fand Mr. Meyers seltsam... aber er fand das meiste in dieser schönen neuen Welt des Jahres 1960 seltsam. In den zwanziger Jahren, als er sein Geschäft eröffnet hatte, war alles einleuchtender gewesen, als der Zug regelmäßig verkehrte und die Leute noch wußten, wie sich zivilisierte Menschen benahmen.
    Um halb zehn waren die Jungs wieder fort, hatten ihre neu erworbenen Spritzpistolen in Beuteln verstaut und fuhren

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