Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
»Komm her, Michael, Junge. Setz dich! Wir müssen reden.«
    »Reden Sie«, sagte Mike, der sich so stellte, daß er mit dem Rücken neben dem erleuchteten Fenster an der Hauswand lehnte. Das Maisfeld auf der anderen Straßenseite war wie eine schwarze Wand. Im Garten hinter der Schaukel und dem Geländer waren ein paar Glühwürmchen zu sehen.
    Pater C. - es ist nicht Pater C! - machte eine Geste mit den blassen Händen. Mike war nie aufgefallen, wie lang die Finger des Priesters waren. »Nun gut, Michael... ich bin gekommen, um dir und deinen kleinen Freunden einen... wie sollen wir es nennen? Einen Waffenstillstand anzubieten.«
    »Was für einen Waffenstillstand?« sagte Mike. Ihm war, als hätte man seiner Zunge eine Novocainspritze gegeben.
    Es war jetzt so dunkel, daß die schwarze Kleidung des Priesters mit der Nacht verschmolz und nur seine Hände, das Gesicht und der runde weiße Kragen das Licht reflektierten. »Ein Waffenstillstand, der euch das Leben schenkt«, sagte er gleichgültig. »Vielleicht.«
    Mike gab einen Laut von sich, der als Lachen gedacht war. »Warum sollten wir einen Waffenstillstand schließen? Sie haben gesehen, was heute aus eurem Kumpel Van Syke geworden ist.«
    Das Ding über der Schaukel machte den Mund auf, und Gelächter kam heraus... wenn man ein Geräusch wie Steine in einem Blecheimer als Gelächter bezeichnen konnte. »Michael«, sagte er leise, »eure Tat heute hat keine Bedeutung. Unser Kumpel, wie du ihn nennst, hätte heute nacht sowieso ... äh... stillgelegt werden sollen.«
    Mike ballte die Fäuste. »So wie ihr C. J. Congdens Alten stillgelegt habt?«
    »Ganz genau«, sagte die Stimme des Dings tief im Innern der Priesterkleidung. »Seine Nützlichkeit hatte sich effektiv erschöpft. Er hatte andere... äh... Dienste zu bieten.«
    Mike beugte sich nach vorn. »Verdammt, wer bist du?«
    Wieder das Poltern von Steinen. »Michael, Michael... alle Erklärungen der Welt könnten dir nicht annähernd den komplizierten Sachverhalt der Situation erhellen, in die du gestolpert bist. Es wäre wie der Versuch, einer Katze oder einem Hund den Katechismus zu lehren.«
    »Nur zu«, flüsterte Mike. »Versuchen Sie es!«
    »Nein«, sagte das weiße Gesicht scharf. Jetzt hielt die tote Stimme keine Illusion freundlichen Plauderns mehr aufrecht. »Es genügt zu sagen, wenn du und deine Freunde unseren Waffenstillstand annehmt, werdet ihr vielleicht überleben und den Herbst sehen.«
    Mike spürte, wie ihm das Herz in der Brust pochte. Seine Beine waren weich, er lehnte sich unvermittelt auf eine, wie er hoffte, entspannte und beiläufige Weise an die Wand. Einmal während einer Hohen Messe mit Pater Har-rison vor ein paar Jahren, kurz nachdem Mike Meßknabe geworden war, war er nach fünfundzwanzig Minuten knien ohnmächtig geworden. Jetzt spürte er ein ähnliches Rauschen in den Ohren. Nein, nein, halt durch, gib acht!
    »Wer ist >wir<, wie Sie immer sagen«, sagte Mike und war verblüfft, daß sich seine Stimme so kräftig anhörte. »Ein paar Leichen und eine Glocke?«
    Das weiße Gesicht bewegte sich hin und her. »Michael, Michael...« Der Priester stand auf und kam einen Schritt auf ihn zu.
    Mike sah verstohlen nach links, sah etwas von der Größe des Soldaten auf der anderen Straßenseite aus dem Feld kommen und langsam über den Rasen auf Memos Fenster zugleiten.
    »Pfeifen Sie ihn zurück!« rief Mike. Er zog die Wasserpistole heraus.
    Das Gesicht von Pater Cavanaugh lächelte. Er schnippte mit dem Finger, worauf der Soldat dreißig Schritte entfernt unter der Linde stehenblieb. Pater C.'s Lächeln wurde noch breiter, bis die Backenzähne zu sehen waren, und noch breiter, bis er aussah, als würde das Gesicht des Mannes an Scharnieren in zwei Hälften klappen. Der unmögliche Mund wurde noch weiter aufgesperrt, und Mike konnte noch mehr Zähne sehen - reihenweise Zähne, endlose weiße Reihen, die im Schlund des Dings zu verschwinden schienen.
    Das Cavanaugh-Ding tat gar nicht mehr so, als würde es Mund oder Kiefer bewegen, als die Stimme aus seinen Eingeweiden drang. »Ergib dich auf der Stelle, du kriechender kleiner Wurm, sonst reißen wir dir das klägliche Herz aus der Brust... wir beißen dir die Eier ab und füttern sie unseren Unterdämonen... löffeln dir die Augen aus den Höhlen, wie deinem verwesten kleinen Freund...«
    »Duane«, flüsterte Mike und spürte, wie ihm der Atem stockte, aussetzte und wieder anfing, wenn auch widerwillig. Sein Hals und Bauch waren

Weitere Kostenlose Bücher