Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Tür klopfte und Mike sich im Schlaf regte.
    Peg lehnte stirnrunzelnd am Türrahmen. »Mike... Pater Cavanaugh ist hier. Er sagt, er müßte mit dir reden... es sei wichtig.«
    Mike wurde wach und hielt sich an den Armlehnen des Sessels fest, damit er nicht herausfiel. Memo hatte die Augen geschlossen. Er konnte kaum den schwachen Puls an ihrem Halsansatz erkennen. »Pater Cavanaugh?« Einen Moment war er so desorientiert, daß er glauben wollte, alles wäre nur ein Traum gewesen. »Pater C?« wiederholte er, und der Schock machte ihn vollends wach. »Hat er... hat er mit dir gesprochen?«
    Peg verzog das Gesicht. »Ich hab' dir doch eben gesagt, was er gesagt hat.«
    Mike sah sich in plötzlicher Panik um. Die Eichhornbüchse lag zusammen mit der Wasserpistole im Rucksack zu seinen Füßen, dazu zwei der restlichen Molotowcocktails und Stücke der Hostie, die er sorgfältig in sauberes Leinen gewickelt hatte. Eine Phiole mit Weihwasser stand auf dem Fenstersims neben einem von Memos Schmuckkästchen, in dem sich ebenfalls ein Krümel der Eucharistie befand.
    »Du hast ihn doch nicht reingebeten...«, begann Mike.
    »Er hat gesagt, er wartet auf der Veranda«, sagte seine Schwester. »Was ist denn los mit dir?«
    »Pater C. war krank«, sagte Mike und sah zum Vorgarten und dem Feld auf der anderen Straßenseite. Es war dunkel; der letzte Schein der Dämmerung war ausgeblutet, während er geschlafen hatte.
    »Hast du Angst, daß du dich ansteckst?« Pegs Stimme klang verächtlich.
    »Wie sieht er aus?« fragte Mike, der zur Tür des Schlafzimmers kam. Von da konnte er das Wohnzimmer sehen, wo eine Lampe brannte, aber nicht die Tür zur vorderen Veranda. Niemand kam zur Vordertür, abgesehen von Vertretern.
    »Ausgesehen?« Peggy kaute an einem Nagel. »Irgendwie blaß, würd' ich sagen. Das Verandalicht ist aus, und es war ziemlich dunkel. Hör zu, soll ich ihm sagen, daß Mutter mal wieder ihre Kopfschmerzen hat?«
    »Nein«, sagte Mike, der sie mit einem groben Ruck in Memos Zimmer zog. »Bleib hier. Paß auf Memo auf. Komm nicht raus, was du auch hören magst.«
    »Michael...«, begann seine Schwester mit schriller Stimme.
    »Das ist mein Ernst«, sagte Mike in einem Tonfall, gegen den nicht einmal seine ältere Schwester Widerspruch wagte. Er drückte sie in den Sessel. »Geh erst, wenn ich wieder da bin. Kapiert?«
    Peg rieb sich den Oberarm. Ihre Stimme bebte. »Ja, aber...«
    Aber Mike hatte schon die Wasserpistole genommen, sie unter dem Hemd in den Hosenbund gesteckt, die Hostie im Leinen auf Memos Bett gelegt und war zur Tür hinausgegangen.
    »Hallo, Michael«, sagte Pater Cavanaugh. Er saß auf dem Korbstuhl am Ende der Veranda. Er deutete mit einer Hand auf die Hollywoodschaukel. »Komm ... setz dich.« Mike ließ das Fliegengitter hinter sich zufallen, kam aber nicht zur Schaukel. Dann wäre Pater Cavanaugh zwischen ihm und dem Haus gewesen.
    Das ist nicht Pater Cavanaugh!
    Sah aber aus wie Pater Cavanaugh. Er trug einen schwarzen Mantel und den Priesterkragen. Das einzige Licht hier draußen war der Lampenschein, der durchs Fenster fiel, aber obwohl das Gesicht von Pater C. blaß war - fast ausgezehrt -, war nichts von den Narben zu erkennen, die Mike am Abend zuvor gesehen hatte. Er hing vor Michelles Garagenfenster. Aber woran?
    »Ich dachte, Sie wären krank«, sagte Mike. Seine Stimme klang gepreßt.
    »Nicht mehr, Michael«, sagte der Priester mit einem leichten Lächeln. »Ich habe mich nie besser gefühlt.«
    Mike spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufrichteten, und stellte fest, daß es an der Stimme des Priesters lag. Sie klang nach dem echten Pater C, aber gleichzeitig stimmte etwas mit der Stimme nicht - als hätte jemand ein Tonbandgerät mit der Stimme des Priesters im Bauch dieses Mannes versteckt und würde es durch einen Lautsprecher tief im Hals abspielen.
    »Gehen Sie weg«, flüsterte Mike. Er wünschte sich bei allen Heiligen und der Jungfrau Maria, er hätte Dale nicht gesagt, er sollte das eine Walkie-talkie nehmen, als Har-len das andere gewollt hatte. Damals schien es logisch zu sein.
    Pater Cavanaugh schüttelte den Kopf. »Nein, erst wenn wir miteinander geredet haben, Michael... eine Art Übereinkunft getroffen haben.«
    Mike preßte die Lippen zusammen und sagte nichts. Er sah über die Schulter zum Rasen vor Memos Fenster; das Reckteck gelblichen Lichts fiel auf eine freie Rasenstelle.
    Pater Cavanaugh seufzte, kam zur Schaukel und klopfte auf den jetzt freien Korbstuhl.

Weitere Kostenlose Bücher