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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Pater Cavanaugh als >den wahrscheinlich totesten Unfalltotem seiner Laufbahn bezeichnet. Der Bischof der Erzdiözese rief am Samstagvormittag von St. Mary's in Peoria an und bat Mr. Taylor, den Leichnam des Priesters für Montag zum Transport nach Chicago vorzubereiten, wo die Familie ihn in Empfang nehmen würde. Mr. Taylor stimmte zu, setzte aber dennoch >kosmetische Behandlung< mit auf die Rechnung, da >die Familie ihn so auf gar keinen Fall sehen könne. Es sah aus, als wäre etwas von seinem Gesicht nach außen explodierte Auch das waren die Worte von Mr. Taylor, die Mrs. Taylor Mrs. Whittacker zitierte.
    Die Leute waren jedenfalls so oder so überzeugt, daß das Rätsel seine Lösung gefunden hatte. Mr. Van Syke, dem, wie sich herausstellte, niemand in der Stadt besonders vertraut hatte, ermordete den armen alten Friedensrichter Congden im Streit um Geld oder einen Hund. Der arme Pater Cavanaugh, den, wie sich herausstellte, alle Protestanten und nicht wenige der älteren Katholiken als besonders stabil betrachtet hatten, hatte durch eine Erbkrankheit den Verstand verloren und versucht, seinen Meßknaben Michael O'Rourke anzugreifen, bevor er vor einen Laster gelaufen war.
    Die Stadtbevölkerung tratschte, und die Telefonleitungen liefen heiß - Jenny im Amt hatte seit der großen Überschwemmung von '49 nicht mehr so viele Anrufe aus Elm Haven durchgestellt -, und alle hatten ihren Spaß bei der Aufklärung, während sie die dunklen Wolken im Auge behielten, die sich im Süden und Westen über den Maisfeldern zusammenbrauten.
    Der Sheriff ließ sich nicht so leicht davon überzeugen, daß das Geschehen aufgeklärt sei. Nach dem Essen kam er zum dritten Verhör mit Mike seit dem vergangenen Abend.
    »Und Pater Cavanaugh hat mit deiner Schwester gesprochen?«
    »Ja, Sir. Sie hat mir gesagt, daß Pater C. mich sprechen wollte ... daß es wichtig wäre.« Mike wußte, daß der großgewachsene Sheriff auch schon zweimal mit Peg gesprochen hatte.
    »Hat er ihr gesagt, worüber er mit dir sprechen wollte?«
    »Nein, Sir. Ich glaube nicht. Da müssen Sie sie schon selbst fragen.«
    »Mrnmm«, sagte der Sheriff und sah in einen kleinen Spiralblock, bei dem Mike an Duanes Notizbücher denken mußte. »Sag mir noch einmal, worüber hat er mit dir gesprochen?«
    »Nun, Sir, wie ich schon gesagt habe, ich konnte ihn eigentlich nicht verstehen. Es war, als würde er im Fieber sprechen. Manche Worte und Ausdrücke schienen einen Sinn zu ergeben, aber alles zusammen nicht.«
    »Sag mir ein paar der Worte, Junge.«
    Mike biß sich auf die Lippe. Duane McBride hatte ihm und Dale einmal gesagt, daß die meisten Verbrecher ihre Alibis zunichte machen, weil sie zuviel reden und zu sehr das Bedürfnis verspüren, die Tatsachen auszuschmük-ken. Unschuldige, hatte Duane gesagt, sind normalerweise nicht so artikuliert. Nach der Unterhaltung war Mike nach Hause gegangen und hatte das Wort >artiku-liert< nachgeschlagen.
    »Nun, Sir«, sagte Mike langsam, »ich weiß, daß er mehrmals das Wort >Sünde< gebraucht hat. Er sagte, wir hätten alle gesündigt und müßten bestraft werden. Aber ich hatte den Eindruck, als würde er gar nicht richtig über uns sprechen... nur über die Leute im allgemeinen.«
    Der Sheriff nickte und machte sich Notizen. »War das, als er angefangen hat zu schreien?«
    »Ja, Sir. In etwa.«
    »Aber deine Schwester hat gesagt, sie hat euer beider Stimmen gehört. Wenn du nicht verstanden hast, wovon der Pater geredet hat, warum hast du dann geantwortet?«
    Mike widerstand dem Impuls, sich Schweiß von der Oberlippe zu wischen. »Ich habe ihn gefragt, ob es ihm gutginge. Ich meine, ich hatte Pater C zum letztenmal gesehen, als Mrs. McCafferty mich am Dienstag zu ihm gelassen hat. Da war er schwer krank.«
    »Und hat er gesagt, ob es ihm gutging?«
    »Nein, Sir, er hat angefangen zu schreien, daß der Tag des Jüngsten Gerichts nahe sei... Das hat er gesagt, Sir, nahe.«
    »Und dann ist er von der Veranda gestürmt und hat auf das Fenster deiner Großmutter eingeschlagen«, sagte der Sheriff und verglich seine Notizen. »Ist das richtig?«
    »Ja, Sir.«
    Der Sheriff kratzte sich langsam die Wange und war offenbar mit etwas nicht einverstanden. »Und was war mit seinem Gesicht, Junge?«
    »Seinem Gesicht, Sir?« Das war eine neue Frage.
    »Ja. War es... seltsam? Verstümmelt oder in irgendeiner Weise entstellt?«
    Wenn man es nicht als entstellt betrachtet, daß es sich in den Schlund eines Neunauges verwandelt

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