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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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verschlafen.
    Kevin hatte sechs Minuten Abpumpen hinter sich gebracht, als die Pumpe gluckerte und vibrierte unter seinen Händen, der Generator gab seine Rennmaschinengeräusche in dem hallenden Schuppen von sich, und der Sturm schwoll zu einem aberwitzigen Crescendo an, als er von seinem Hügel heruntersah und die Erdaufwürfe auf dem Spielplatz von Old Central bemerkte.
    Sie glichem dem Kielwasser von zwei Haien im Meer, deren Flossen das Wasser teilten wie Wogen in einem Windkanal. Nur handelte es sich nicht um Meer und Wind - was immer näher kam, bahnte sich einen Weg unter dem festen Boden des Spielplatzes hindurch und zielte schnur stracks zur Straße und weiter zum Milchlaster.
    Zweimal Kielwasser. Zwei Furchen wurden aufgeworfen, als würden sich zwei Riesenmaulwürfe einen Weg direkt auf ihn zu bahnen.
    Und sie kamen schnell.

38 
    Nach den ersten zehn Metern oder so kam Mike leichter in dem Tunnel voran. Hier war er breiter, um die fünfundfünfzig bis sechzig Zentimeter, nicht mehr die enge Röhre, in die er am Anfang seine Schultern gezwängt hatte. Die welligen Wände des Tunnels waren hart, sie bestanden aus festgedrückter Erde und einer grauen Substanz mit der Konsistenz von getrocknetem Tischlerleim, sie erinnerten ihn an die Spuren von Planierraupen oder Traktoren im Lehm, wenn der Schlamm tagelang in der Sonne getrocknet ist.
    Mike fand, durch diesen Tunnel zu kriechen war nicht schwerer, als sich durch eines der kleineren Stahlrohre zu zwängen, die sie unter den Straßen verlegten.
    Nur war dieser Hunderte Meter - oder Meilen - lang, nicht nur ein paar Meter.
    Der Geruch war schlimm, aber Mike achtete nicht darauf. Das Licht der Taschenlampe wurde rot von den Wellen des Lochs reflektiert, weshalb Mike wieder an Eingeweide denken mußte, an einen langen Darm in die Hölle, aber er versuchte, nicht daran zu denken. Die Schmerzen in seinen Ellbogen und Knien wurden mit jeder Minute schlimmer, aber er dachte nicht daran und betete Ave Marias mit einem gelegentlichen Vaterunser dazwischen. Er wünschte sich, er hätte das letzte Stückchen der Eucharistie mitgebracht, das er auf Memos Bett liegen gelassen hatte.
    Mike kroch weiter, er spürte, wie sich der Tunnel nach links und rechts krümmte, manchmal abfiel und manchmal zu einer Höhe anstieg, daß er dachte, er könne nicht mehr als einen Meter Boden über sich haben. Im Augenblick schien er tief unten zu sein. Zweimal war er an Kreuzungen mit anderen Tunnels gekommen, einer war fast senkrecht nach links unten verlaufen, und Mike hatte mit der Taschenlampe hineingeleuchtet, gewartet, gelauscht und war weiter gekrochen, wobei er sich an den seiner Meinung nach frischesten Tunnel gehalten hatte. Jedenfalls roch dieser Tunnel am übelsten.
    An jeder Biegung rechnete Mike damit, den Leichnam von Lawrence Stewart zu finden, der ihm den Weg ver sperrte. Vielleicht würden nur Knochen und Fleischfet zen übrig sein... vielleicht würde es noch schlimmer sein. Aber wenn er ihn fand, konnte er zumindest den Irrgarten von Tunnels guten Gewissens verlassen.
    Aber Mike hätte den Rückweg nie mehr gefunden. Zu viele Biegungen, mehr als genügend Kreuzungen, daß er sich für alle Zeiten verirren konnte. Er hielt sich im Haupttunnel - er dachte, daß es der Haupttunnel war -und kroch weiter; inzwischen waren seine Jeans an den Knien durchgescheuert und die Haut darunter blutig. Es war, als würde man auf Beton mit Rillen kriechen. Die Taschenlampe glitt über roten Boden und beleuchtete eben noch zwanzig Meter Schacht, und im nächsten nur noch einen, wenn der Tunnel sich neigte oder wieder eine Biegung machte. Mike rechnete hinter jeder Biegung damit, etwas oder jemanden vorzufinden.
    Die Spritzpistolen im Hosenbund tropften, und er kam sich wie ein Narr vor. Monster zu bekämpfen war eines, dachte er. Aber sie mit nassen Unterhosen zu bekämpfen, dachte er, war etwas ganz anderes. Er zog den schlimmsten Tropfer aus dem Bund und klemmte ihn zwischen die Zähne; lieber ein nasses Kinn als aussehen, als brauchte man eine Windel.
    Der Tunnel bog wieder nach rechts und fiel steil ab. Mike kämpfte sich zentimeterweise voran und benützte die Ellbogen als Bremsen, der Strahl der Taschenlampe tanzte über rote Rillen. Mike kroch weiter.
    Er spürte es, bevor er es sah.
    Die Erde fing leicht an zu beben. Mike erinnerte sich an eine längst vergangene Sommernacht, als er und Dale in Oak Hill ein Ballspiel angesehen und danach zu einem Mondscheinspaziergang auf

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