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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dunkler wurde und das Leinwandrechteck an der Wand des Parkside Cafes im Licht erstrahlte.
    Dale und Lawrence brachen spät auf, weil sie hofften, ihr Vater würde rechtzeitig nach Hause kommen, daß die ganze Familie zur Gratisvorstellung gehen konnte. Er kam nicht, rief aber kurz nach halb neun von der Grenze des Bundesstaates an und sagte, er sei unterwegs und sie sollten nicht auf ihn warten. Dales Mom machte ihnen Pop-corn, gab jedem Jungen eine Tüte und einen Dirne, damit sie sich im Parkside eine Limo kaufen konnten, und sagte ihnen, sie sollten nach Hause kommen, sobald der Film vorbei war.
    Sie fuhren nicht mit den Rädern. Normalerweise ging keiner der beiden Jungs zu Fuß irgendwo hin, wenn sie es vermeiden konnten, aber zu Fuß zur Gratisvorstellung zu gehen war eine Tradition, die noch in die Zeit zurückreichte, als Lawrence klein war und kein Fahrrad hatte und Dale mit ihm zum Park lief und ihn an der Hand führte, wenn sie die stillen Straßen überquerten.
    Auch jetzt waren die Straßen still. Das Licht war vom Abendhimmel verschwunden, aber von Sternen ersetzt worden; die Lücken zwischen den Ulmen waren dunkel, da Wolken aufzogen. Ein schwerer Geruch von frisch gemähtem Gras und Blüten hing in der Luft. Grillen stimmten sich für ihr nächtliches Konzert in den dunklen Gärten und dichten Hecken ein, im abgestorbenen Baumwollbaum hinter Mrs. Moons Haus probierte eine Eule ihre Stimme aus. Old Central war eine dunkle Masse in der Mitte der verlassenen Spielplätze, und die Jungs eilten auf der Second Avenue daran vorbei und bogen nach Westen in die Church Street ein.
    An jeder Ecke befanden sich Lampen, aber die langen Zwischenräume unter den Bäumen waren dunkel. Dale wollte laufen, damit sie den Zeichentrickfilm nicht versäumten, aber Lawrence hatte Angst, er könnte auf dem unebenen Gehweg hinfallen und sein Pop-corn verschütten, daher schritten die beiden nur schnell aus und wanderten durch Laubschatten, während sich die Bäume über ihnen bewegten. Die großen alten Villen der Church Street waren entweder dunkel oder nur vom blauweißen Pulsieren der Fernsehgeräte erleuchtet, das durch Erkerfenster oder Glastüren drang. Ein paar Zigaretten glommen auf Veranden, aber es war zu dunkel, die Leute dort zu erkennen. An der Ecke Third und Church, wo Dr. Roon ein Zimmer im ersten Stock von Mrs. Samsons alter Pension gemietet hatte, rannten Dale und Lawrence über die Straße, gingen an dem dunkeln Backsteingebäude der Eisbahn vorbei, die den Sommer über geschlossen war, und bogen nach links auf die Broad ein.
    »Ist wie Halloween«, sagte Lawrence mit dünner Stimme. »Als wären die Leute verkleidet in den Schatten, wo wir sie nicht sehen können. Als wäre dies mein Süßigkeitsbeutel, aber niemand ist zu Hause und ...«
    »Sei still!« sagte Dale. Er konnte schon die Musik der Gratisvorstellung hören, hell und blechern: ein Zeichentrickfilm von Warner Brothers. Der Ulmentunnel der Broad Avenue lag hinter ihnen, nur wenige Lichter waren in den großen viktorianischen Villen fernab der Straße zu sehen. Die Erste Presbyterianische Kirche, wo die Familie Stewart hinging, ragte blaß und einsam an der Ecke gegenüber dem Postamt auf.
    »Was ist das?« flüsterte Lawrence, blieb stehen und umklammerte seine Popcorntüte.
    »Nichts. Was denn?« fragte Dale und blieb wie sein Bruder stehen.
    Aus der Dunkelheit in und über den Ulmen erklang ein Rascheln, Schlittern, Kreischen.
    »Das ist nichts«, sagte Dale und wollte Lawrence weiterziehen. »Vögel.« Lawrence bewegte sich nicht, und Dale blieb auch wieder stehen und lauschte. »Fledermäuse.«
    Jetzt konnte Dale sie sehen: dunkle Schemen, die durch die helleren Lücken zwischen den Bäumen flatterten, geflügelte Schatten, die man vor dem Weiß der Kirche eben noch erkennen konnte, wo sie hin und her schossen. »Nur Fledermäuse.« Er zog Lawrence an der Hand.
    Sein Bruder bewegte sich nicht. »Hör doch!« flüsterte er.
    Dale überlegte sich, ob er ihm eine scheuern, ihm einen Tritt in den Hosenboden seiner Levis verpassen oder ihn an einem seiner großen Ohren packen und den letzten Block zur Gratisvorstellung zerren sollte. Statt dessen lauschte er auch.
    Blätter raschelten, die aberwitzige Musik eines Trickfilms in der Ferne, und dumpf in der schwülen Luft das ledrige Schlagen von Flügeln. Stimmen.
    Die Geräusche in der von Bewegungen erfüllten Dunkelheit um sie herum waren nicht das fast im Ultraschallbereich liegende Zirpen der

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