Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
und wenn ihre TeufelsfahrerShow im Garten verlangte, daß sich jemand unter die Rampe legte, während andere mit den Rädern darüber sprangen, war Lawrence der einzige, der sich freiwillig meldete. Er spielte Football mit wesentlich größeren Jungs, und es machte ihm den größten Spaß, sich in einer zugeklebten Kartonkiste die vom Tagebau zerfurchten Hände der Billy Goat Mountains herunterstoßen zu lassen. Manchmal war Dale überzeugt, Lawrences Unerschrockenheit würde ihn eines Tages das Leben kosten.
    Aber er hatte Angst vor der Dunkelheit.
    Lawrence fürchtete sich besonders vor der Dunkelheit im Flur oben an der Treppe, und noch mehr vor der Dunkelheit in ihrem Zimmer.
    Das Haus der Stewarts - sie hatten es seit fünf Jahren gemietet, seit sie von Chicago hierher gezogen waren -war alt. Mit dem Lichtschalter unten an der Treppe konnte man die Glühbirnen des kleinen Kandelabers über der unteren Eingangsdiele einschalten, aber der Zwischenstock oben blieb dunkel. Wenn man zum Zimmer der Jungs wollte, mußte man durch diese Dunkelheit im Zwischenstock gehen. Von Lawrence Standpunkt aus noch schlimmer war die Tatsache, daß es in ihrem Zimmer keinen Wandschalter gab. Um die hängende Glühbirne in der Mitte des Zimmers einzuschalten, mußten die Jungs in die Dunkelheit gehen, mußten nach der Kordel tasten, die herunterhing, und daran ziehen. Lawrence mißfiel das ganz besonders, er flehte immer Dale an, nach oben zu gehen und das Licht für ihn anzumachen.
    Einmal, als sie bei eingeschaltetem Nachttischlämp-chen schlafen gingen, hatte Dale ihn gefragt, was ihm daran nicht gefiel... wovor er denn genau Angst hatte. Es war ihr Zimmer. Zuerst wollte Lawrence nicht antworten, aber schließlich sagte er verschlafen: »Jemand könnte hier drinnen sein. Und warten.«
    »Jemand?« hatte Dale geflüstert. »Wer?«
    »Weiß nicht«, hatte Lawrence schläfrig zurückgeflüstert, »jemand halt. Manchmal denke ich, ich komme ins Zimmer und taste nach der Lichtschnur ... du weißt ja, die ist irgendwie schwer zu finden ... und anstelle der Schnur werde ich sein Gesicht ertasten.«
    Dales Nacken war kalt geworden.
    »Du weißt schon«, fuhr Lawrence fort, »das Gesicht eines großen Burschen... aber kein richtiges Menschengesicht ... und ich werde hier drinnen im Dunkeln sein und meine Hand auf diesem Gesicht haben... und seine Zähne werden ganz glatt und kalt sein, und ich spüre seine Augen, weit offen wie bei einem Toten... und...«
    »Sei still!« hatte Dale geflüstert.
    Selbst wenn das Nachttischlämpchen eingeschaltet war, fürchtete sich Lawrence vor Ungeheuern im Zimmer. Das Haus war so alt, daß es keine Einbauschränke besaß - Dales Dad hatte gesagt, daß die Leute damals große Schränke für ihre Kleidung benützten -, aber Vorbesitzer und Mieter hatten im Zimmer der Jungs einen Schrank eingebaut. Das war ein einfaches Ding - kaum mehr als eine Kiste aus gestrichenem Kiefernholz vom Boden zur Decke in einer Ecke-, und Lawrence sagte immer, er erinnere ihn an einen an die Wand gestellten Sarg. Er erinnerte auch Dale an einen Sarg, doch hätte dieser das niemals zugegeben. Lawrence machte nie als erste die Schranktür auf, nicht einmal bei Tage. Dale konnte sich nur ausmalen, was sein Bruder da drinnen zu finden erwartete.
    Aber am meisten Angst hatte Lawrence vor dem, was unter seinem Bett sein könnte.
    Die Jungs schliefen wenige Schritte voneinander entfernt in Betten, die bis hin zu den Roy-Rogers-Bettdecken identisch waren. Aber Lawrence war sicher, daß unter sei-nem Bett etwas lauerte.
    Lawrence kniete auf dem Boden und betete, wenn seine Mom im Zimmer war, aber wenn die beiden Jungs allein waren, zog er hastig den Pyjama an und sprang auf das Bett - ohne in Reichweite der Dunkelheit darunter zu kom- men -, und dann kam das Ritual, die Decke festzustecken und alles zu sichern, damit nichts ihn nach unten ziehen konnte. Wenn er einen Comic oder so etwas las, und er fiel ihm hinunter, bat er Dale, ihn aufzuheben. Wenn Dale das nicht machte, blieb der Comic bis zum Morgen auf dem Boden.
    Dale versuchte schon seit Jahren, seinem Bruder mit Vernunftgründen beizukommen. »Hör zu, Dummkopf«, sagte er, »unter deinem Bett ist nichts außer Staubflok-ken.«
    »Da könnte ein Loch sein«, hatte Lawrence einmal geflüstert.
    »Ein Loch?«
    »Ja, wie ein Tunnel oder so. Etwas könnte darin warten, daß es mich erwischt.« Lawrences Stimme war sehr piepsig gewesen.
    Dale hatte gelacht. »Spatzenhirn, wir sind

Weitere Kostenlose Bücher