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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Tritt selbst von draußen abreißen könnte, lächelte über seine eigene Albernheit und ging Onkel Art anrufen.
    Mikes kleines Zimmer befand sich über dem ehemaligen Salon, der jetzt Memos Zimmer war. Das Obergeschoß verfügte nicht über eine eigene Heizung, lediglich über große Metallgitter, durch die die warme Luft von unten aufsteigen konnte. Das Gitter befand sich direkt neben Mikes Bett, daher konnte er an seiner Decke den schwachen Schimmer der Petroleumlampe erkennen, die sie die ganze Nacht als Nachttischlämpchen in Memos Zimmer brennen ließen. Mikes Mutter sah mehrmals pro Nacht nach Memo, was das schwache Licht erleichterte. Mike wußte, wenn er sich auf die Knie niederließ und durch das Gifter spähte, konnte er das reglose Bündel Bettzeug sehen, das Memo war. Das würde er aber nie machen; es wäre zu sehr wie Spionieren.
    Aber manchmal war Mike sicher, daß er Memos Gedanken und Träume hören konnte, die durch das Gitter nach oben drangen. Keine Worte oder Bilder, und doch stiegen sie wie halb vernommene Seufzer zu ihm empor, ein Windhauch warmer Liebe oder eine kalte Brise der Angst. Mike lag häufig in seinem Zimmer unter der niederen Decke wach und fragte sich, ob er, sollte Memo sterben, wenn er hier war, spüren würde, wie ihre Seele durch das Gitter an ihm vorbeischwebte und verweilte, ihn mit ihrer Wärme umfing, so wie sie es jeden Abend mit ihrem Körper gemacht hatte, als er noch klein war und sie hereingekommen war, um nach ihm zu sehen, und ob die kleine Petroleumlampe flackern und ein leises Zischen in ihrem Glasgehäuse von sich geben würde.
    Mike lag da und sah zu, wie sich die Schatten der Blätter an der steilen Dachschräge bewegten. Er wollte nicht schlafen. Den ganzen Nachmittag hatte er gegähnt und brennende Augen wegen des Schlafmangels in der Nacht zuvor gehabt, aber jetzt, wo Dunkelheit und finstere Nacht waren, hatte er Angst, die Augen zuzumachen. Er lag da und versuchte wach zu bleiben - malte sich Unterhaltungen mit Pater C. aus und träumte von den Tagen, als seine Mutter noch mit ihm gelacht und ihn in die Arme genommen hatte -, als ihre Stimme nicht so schneidend mit allen gesprochen und ihre Zunge irischen Sarkasmus von sich gegeben hatte, aber nicht soviel Verbitterung, und schließlich träumte er nur von Michelle Staffney, stellte sich ihr rotes Haar vor - so weich und hübsch wie das seiner Schwester Kathleen, aber von intelligenten Augen und einem ausdrucksvollen Mund begleitet, anders als der träge Blick seiner Schwester und ihre schlaffen Züge.
    Mike war kurz vor dem Einschlafen, als er spürte, wie ein kalter Luftzug über ihn hinwegstrich. Sofort war er hellwach.
    In dem Zimmer war es auch dann heiß, wenn das kleine Fenster offenstand. Die ganze Tageshitze war ins Obergeschoß gestiegen, und dort gab es keine Ventilation, sie zu verteilen. Aber der Luftzug, der an Mike vorbeigestrichen war, war so kalt gewesen wie die Winde, die in Januarnächten durch das kalte Zimmer wehten; und er hatte einen Geruch von kaltem Fleisch und Blut mit sich gebracht, den Mike mit den Kühltruhen verband, in denen sie drunten im A & P das Fleisch aufbewahrten.
    Mike drehte sich aus dem Bett und sank vor dem Gitter auf die Knie. Die Lampe unten flackerte ungestüm, als würde ein Sturm in dem kleinen Zimmer herrschen. Die Kälte hüllte Mike so deutlich ein, als hielten kalte Hand seine Handgelenke, Knöchel und den Hals umklammert. Er erwartete, daß seine Mutter mit um sich gehaltenem Morgenmantel und wirrem Haar ins Zimmer gestürzt kommen würde, um nachzusehen, was los war - aber das Haus war still und stumm, abgesehen vom sägenden Schnarchen seines Vaters im Schlafzimmer seine Eltern.
    Die Kälte wurde schwächer, schien durch das Gitter zurückzuweichen und schwoll dann wieder mit der Heftigkeit eines Januarwindes an, der durch offene Fenster pfeift. Die Petroleumlampe flackerte zum letztenmal und ging aus. Mike glaubt ein Stöhnen aus der dunklen Ecke zu hören, in der Memo lag.
    Mike sprang auf die Füße, holte seinen Louisville-Slugger-Baseballschläger aus der Ecke und flog die Treppe hinunter, wobei seine bloßen Füße fast keinen Laut auf den Holzstufen erzeugten.
    Memos Tür wurde stets einen Spalt offengelassen. Jetzt war sie fest zu.
    Mike rechnete fest damit, daß sie von innen verriegelt sein würde - ein Ding der Unmöglichkeit, wenn Memo allein war -, kauerte ein paar Sekunden vor dem Zimmer und rückte die Finger flach auf die Tür wie ein

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