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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maria Scarfò
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Fritteuse arbeitet, verdient man nicht viel. Und ich gebe meiner Mutter den ganzen Lohn. Geld interessiert mich nicht. Aber irgendwie ist die Arbeit ein Anfang. Ein Anfang, um wegzugehen aus San Martino, um mein Leben zu ändern. Ich versuche es noch einmal. Ich denke an meine Schwester, als ein Carabiniere die Rosticceria betritt. Er trägt Uniform. Es ist Maresciallo C., den kenne ich gut, weil er in der Kaserne meines Dorfes stationiert war.
    Mit dem Schaumlöffel hole ich das letzte Reisbällchen aus der Fritteuse. Ich wasche mir die Hände und trete hinter der Theke hervor.
    Es ist der 15. September 2002, acht Uhr abends. Ich erinnere mich genau an den Tag und die Uhrzeit. An mein Gesicht. Und an das des Maresciallo.
    Nur warum ich es getan habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich habe es getan.
    »Maresciallo?«
    »Anna Maria, guten Abend.«
    »Maresciallo, entschuldigen Sie …«
    Ich gehe zu ihm und spreche leiser. Er beugt sich zu mir herüber.
    »Jetzt arbeite ich und kann nicht aus der Küche weg. Ich muss Ihnen etwas erzählen … etwas sehr Heikles. Es ist wichtig. Sie müssen mich anhören. Aber Sie dürfen niemandem sagen, dass ich mit Ihnen gesprochen habe. Niemandem, hören Sie? Sie müssen einen Weg finden, mir zu helfen. Ich erzähle Ihnen alles, und Sie ermitteln dann … und so helfen Sie mir.«
    Ich spreche in einem durch, ohne einmal zwischendrin Luft zu holen.
    »Wir müssen meiner Schwester helfen. Es ist alles sehr schwierig. Und wichtig. Niemand darf davon wissen«, füge ich mit dem letzten Atem, der mir geblieben ist, hinzu.
    Der Maresciallo wirkt verblüfft. Zögert ein wenig, bevor er antwortet. In einer Hand hält er seine Mütze, in der anderen die kleine Pizza, die er gerade gekauft hat.
    Nun sage ich auch nichts mehr. Ich schaue mich um. Er ist der einzige Kunde in der Rosticceria.
    Darauf hatte ich gar nicht geachtet, als ich die Küche verlassen habe.
    Im Gastraum ist niemand außer mir, dem Maresciallo und dem Mädchen am Verkaufstresen, das zum Glück gerade mit ihrem Handy telefoniert. Niemand sonst.
    »Worum geht es denn, Anna Maria?«, fragt mich der Maresciallo schließlich.
    »Nein, das kann ich Ihnen nicht hier und jetzt erzählen. Die Sache ist schwierig. Das dauert. Außerdem, wenn man uns miteinander reden sieht, könnte ich Schwierigkeiten bekommen. Wir müssen einen Weg finden … Sie müssen mir helfen.«
    »Warum kommst du nicht zu uns in die Kaserne? Vielleicht morgen früh, jetzt ist es ja schon Abend. Du lässt mich rufen, und wir reden dort in aller Ruhe.«
    »Nein, nein.« Ich weiche zurück. Bin versucht, in die Küche zurückzugehen.
    Der Maresciallo legt mir eine Hand auf die Schulter. Ganz leicht.
    »Anna.«
    »Maresciallo, nein, in die Kaserne, das geht nicht, wenn die sehen, dass ich dort hineingehe, wissen die sofort Bescheid.«
    »Hast du denn etwas beobachtet? Hast du zu Hause Probleme?« Er sieht mich forschend an und versucht, sich einen Reim darauf zu machen.
    »Maresciallo, machen wir es doch so: Können Sie morgen noch mal herkommen? Am Nachmittag?«
    »Hierher?«
    »Ja, hier in der Rosticceria ist es besser. Treffen wir uns morgen um fünf hier vor der Tür, bevor ich mit der Arbeit anfange. Dann erzähle ich Ihnen alles. Und danach entscheiden wir.«
    »In Ordnung, Anna Maria. Keine Sorge. Ich verspreche dir, dass ich morgen Nachmittag komme.«
    »Ich glaube Ihnen, dass Sie kommen. Ich habe weder Brüder noch Vettern, die mir helfen können. Aber dann habe ich Sie gesehen … Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden könnte.«
    »Anna Maria, mach dir keine Sorgen, wir treffen uns morgen Nachmittag, und du wirst sehen, es ist nicht so schlimm, und es wird sich alles lösen.«
    »Aber sprechen Sie bitte nicht mit meinen Eltern. Sie dürfen mit niemandem reden. Erst müssen Sie mich anhören. Dann …«
    »Wir sehen uns morgen, Anna.«
    »Bis morgen.«
    * * *
    Der arme Maresciallo. Er hatte keine Ahnung, was ihm ein sechzehnjähriges Mädchen erzählen könnte. Aber jetzt weiß er es. Jetzt wird er mir helfen. Und selbst wenn ich es allein tun muss, werde ich das durchstehen.
    Am folgenden Tag um fünf Uhr wartet der Maresciallo vor der Rosticceria. Ich gehe nicht zur Arbeit. Meiner Chefin erkläre ich, dass ich ein Problem hätte. Sie ist nett und gibt mir einen Tag frei. Um 17.20 Uhr betreten der Maresciallo und ich zusammen die Kaserne.
    Das Dorf
    »Die Leute sagen, du triffst dich mit meinem Mann.«
    »Die Leute sagen, du treibst es mit meinem

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